Vor dem Scherbenhaufen des Systems
Egal, ob man 20 Jahre vorausblickt oder nur ein Jahr: Die Zukunftsaussichten für die katholische Kirche als Institution erscheinen düster. Als die Podiumsteilnehmer beim Aktuellen Forum des Frankfurter Domkreises Kirche und Wissenschaft über „Macht und Missbrauch, Kleriker und Katastrophen“ am Donnerstag, 28. Februar, im Haus am Dom gefragt werden, wie wohl die Kirche in 20 Jahren aussieht, reichen die Antworten von „implodieren, weil die Kirchgänger wegsterben“ bis zu „die Verwahrlosung des Glaubens ist doch längst eingetreten“.
Konkreter, weil überschaubarer, aber ähnlich pessimistisch fallen die Antworten aus auf die Frage, was sich bis zum 29. Februar 2020 in der Kirche getan haben müsste, um einen Funken Hoffnung für die Institution zu zünden. Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer hofft auf einen synodalen Prozess in der deutschen Kirche, wo die Bischöfe „mit offenem Visier diskutieren“ und zu klaren gemeinsamen Beschlüssen kommen, die sich von weltkirchlichen Entwicklungen durchaus absetzen dürften. Der Rektor der Jesuitenhochschule Sankt Georgen in Frankfurt, Ansgar Wucherpfennig, hofft noch in diesem Jahr auf klare Schritte zu einer Gewaltenteilung und die ersten offiziellen Segensfeiern für Homosexuelle im Bistum Limburg: „Eine heilsame Dezentralisierung funktioniert nicht, wenn alle nur autoritätsfixiert auf den Papst schauen.“
Die Gesellschaft braucht die Kirche nicht mehr
Die Dogmatikprofessorin Johanna Rahner (Tübingen) hält dagegen. An einen Reformprozess in der deutschen Bischofskonferenz wagt sie nicht zu glauben. Es fehle die Ehrlichkeit, die Öffentlichkeit zu informieren, welche Bischöfe sich einem solchen Prozess widersetzen: „Ich bin erschüttert, wie sehr offiziell immer noch gelogen wird.“ Für Johannes Röser, den Chefredakteur von „Christ in der Gegenwart“, ist klar, die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts „braucht die Kirche nicht mehr, als System ist sie nicht überlebensfähig.“ Und zu den allfälligen Forderungen nach Reformen meint er: „Dafür ist das Zeitfenster doch zu, die Gesellschaft ist längst weiter.“
Dem widersprechen in aller Vorsicht, aber doch entschieden, die beiden Kleriker auf dem Podium: zwar sei die Kirche nur noch in bestimmten Fragen, etwa sozialen Ressourcen, Migration oder Bewahrung der Schöpfung, ein relevanter Gesprächspartner auf dem gesellschaftlichen Parkett, meint Wucherpfennig, „aber wir müssen trotzdem endlich die Fragen angehen, die das System kaputtgemacht haben: die Enge der Sexualmoral, der Pflichtzölibat, der Ausschluss von Frauen von den Weiheämtern.“ Innerkirchlich sei es „extrem mühsam, das alles voranzutreiben“, gesteht Pfeffer zu, aber er sieht doch „so viel Faszination in diesem Glauben“, dass sich auch die christliche Gemeinschaft weiterentwickeln könne. „Es lohnt sich für Veränderungen zu kämpfen!“
Wie können in dieser Kirche noch glaubwürdige Antworten gegeben werden?
Johanna Rahner
Keine Redefreiheit für Theologen
Zwischen diesen Polen schreiben die vier Diskutanten der katholischen Kirche viel Erschreckendes ins Stammbuch, etwa die Theologin Rahner, die sagt: „Es gibt keine Redefreiheit in diesem System“ und betont: „Wir stehen vor dem Scherbenhaufen des Systems und der Ideologie.“ Oder der Generalvikar Pfeffer, der ebenfalls darauf verweist, dass Theologieprofessoren „nicht sagen dürfen, was sie denken, ohne dass sie erheblichem Druck aus Rom ausgesetzt sind“. Er beklagt auch die „totale Überhöhung des Systems und des Priesteramtes“, die zu „unendlichen Leidensgeschichten in unserer Kirche“ geführt habe, und zeigt sich überzeugt, dass sexualisierte Gewalt nur die „Spitze des Eisberges“ von Machtmissbrauch, Unfreiheit und Systemfehlern in der katholischen Kirche sei. Oder Rektor Wucherpfennig, der die Gefahr einer Kirchenspaltung nach dem Missbrauchsgipfel in Rom als „eher größer geworden“ einschätzt. Oder der Journalist Röser, der die „Gotteskrise als Kern des Problems“ ausmacht.
Dem allerdings widersprechen die Theologen in der Runde, die eher die Kirchenkrise für die gegenwärtigen Katastrophen verantwortlich machen. „Die Zeit der Volkskirche ist vorbei, dogmatische Argumente interessieren heute nicht mehr“, sagt Pfeffer, Zugehörigkeit zur Kirche verlange heute stärker denn je eine innere Überzeugung. Und daran hapert´s, so Rahner, denn „früher bekam man in der Kirche Antworten auf die Gottesfrage und existentielle Sinnkrisen, heute ist sie nicht mehr sprachfähig und nicht mehr glaubwürdig.“ Wucherpfennig dagegen sieht in seinen Forderungen immerhin „minimale Maßnahmen, um überhaupt wieder in der Gesellschaft anzukommen“. Damit aber lasse sich Kirche dann auch wieder zum Besseren hin verändern, ist er überzeugt.