FRANKFURT
Beispielfeld: Hauptamt und Ehrenamt
Beispielfeld: Hauptamt und Ehrenamt
Vorwort
Dr. Christina Riese
In den Beratungen zu diesem Papier hat sich herausgestellt, dass das wechselseitige Verhältnis von Haupt- und Ehrenamt nicht immer so gut gelingt, wie beispielsweise in Unterliederbach. Oft ist es in der Praxis herausfordernd. Dies liegt auch an einem unterschiedlichen Verständnis sowie Konzeptualisierungen in Stadtkirche bzw. Pfarreien und Caritasverband Frankfurt e.V.. Um beide Verständnisse sowie die Herausforderung aus den unterschiedlichen Perspektiven darzustellen, kommen hier Robert Seither (St. Marien, Bockenheim) und Robert Biersack (Fachstelle Ehrenamt, Caritasverband Frankfurt e.V.) zu Wort. Abschließend sollen die Herausforderungen nochmals gebündelt werden.
Ein Hinweis zur Begrifflichkeit des ‚Ehrenamtes‘: Die Textersteller*innen verwenden an dieser Stelle den Begriff des Ehrenamtes weiter, um die Lesbarkeit zu gewährleisten. Sie tun das wohlwissend, dass der Begriff durchaus schwierig ist: Zum Einen suggeriert er aus einer ekklesiologischen Perspektive, dass es keinen graduellen Unterschied zwischen Haupt- und Ehrenamt gibt. Zum Anderen, weil der Begriff des Ehrenamtes eine gewisse Dauer suggeriert und den dynamischen Entwicklungen wie den Motivationen nicht mehr entspricht. Viele Menschen engagieren sich immer häufiger für kurze Zeit oder bestimmte Projekte. ‚Ehrenamtliche‘ im Caritasverband engagieren sich oft aus einer bürgerschaftlichen Motivation, während in Kirchengemeinden die Übernahme eines ‚Ehrenamtes‘ ein Ausdruck des Glaubens ist – für ‚die Ehre‘ tun sie es beide nicht.
Aus der Sicht einer Pfarrei
Robert Seither
„Ehrenamt“ kennzeichnet in der Regel Aufgaben, die Menschen freiwillig und unentgeltlich in ihrer Freizeit für die Allgemeinheit übernehmen, im Unterschied zu den hauptamtlich Tätigen, die Arbeiten in einem beruflichen Kontext ausführen. Als Zwischenformen gibt es geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und Tätigkeiten, die mit einer Aufwandsentschädigung vergütet werden.
In vielen Zusammenhängen wird mit dem Begriffspaar „Haupt-/ Ehrenamtliche“ ein hierarchisches Verhältnis assoziiert: Hauptamtliche verfügen über die fachliche Qualifikation, umfangreiche Ressourcen (Arbeitszeit, Informationen, Zugang zu übergeordneten Stellen innerhalb der Organisation …) und weitreichende Entscheidungskompetenzen. Ehrenamtliche verfügen über diese Ressourcen in wesentlich geringerem Umfang und fungieren deshalb eher als Zuarbeiter der Hauptamtlichen, die in deren Auftrag in Teilbereichen Aufgaben und Verantwortung übernehmen. Die Gesamtverantwortung wird faktisch bei den Hauptamtlichen gesehen. Funktional betrachtet liegt diese Rollenverteilung nahe. Sie entspricht aber nicht dem biblischen Verständnis von Kirche und Gemeinde. Demzufolge sind alle Christen qua Taufe und Firmung berufen, Verantwortung für das Gemeindeleben zu übernehmen. Die Unterscheidung der Kirchenmitglieder in Hauptund Ehrenamtliche ist in diesem Kontext irreführend.
Die beiden Gruppen unterscheiden sich nicht im Maß, in dem sie über Gestaltungs- und Entscheidungskompetenzen verfügen. Vielmehr sind Hauptamtliche Gemeindemitglieder, die von der gesamten Gemeinde von der Notwendigkeit, mit einem weltlichen Beruf ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, freigestellt werden, um sich ganz der Arbeit in der Kirche widmen zu können. Theologisch betrachtet sind nicht hauptamtlich tätige Vorgesetzte ihre Auftraggeber, denen sie Rechenschaft schuldig wären, sondern alle Gemeindemitglieder. Von daher unterstützen Hauptamtliche Gemeindemitglieder durch Schulung, Begleitung, fachlichen Input und die Zurverfügungstellung von Ressourcen (Räume, Arbeitsmaterial, Bürotechnik, Finanzen, Versicherungsschutz, Kontakte zu Behörden …). Die erfolgreiche Realisierung sozialpastoraler Projekte erfordert in der Zusammenarbeit zwischen Gemeindemitgliedern und Hauptamtlichen Transparenz und Kommunikation auf Augenhöhe, von der Projektidee über die Planung und Durchführung bis hin zur Auswertung.
Aus diesen Gründen wäre es besser im gemeindlichen Kontext nicht mehr von „Ehrenamtlichen“, sondern von engagierten Christ*innen zu sprechen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass, insbesondere in der Sozialpastoral, sich zahlreiche Menschen engagieren, die nicht Mitglieder der Katholischen Kirche sind.
Bildergalerie
Aus der Sicht des Caritasverbandes
Robert Biersack
Der Caritasverband misst dem ehrenamtlichen Engagement eine hohe Wertschätzung und Bedeutung bei. Die Bedeutung des Ehrenamts wird im „Rahmenkonzept Ehrenamt“ in dreifacher Weise begründet: Im christlichen Verständnis ist „soziales Ehrenamt eine „wichtige[n] Ausdrucksform des in die Tat umgesetzten lebendigen Glaubens“ (Rahmenkonzept Ehrenamt, S. 3).
Gesellschaftspolitisch gesehen, lässt ehrenamtliches Engagement soziale Räume entstehen, in denen Solidarität erlebt und Demokratie gelernt werden kann. Es eröffnet wichtige Beteiligungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten am öffentlichen Leben.
In verbandspolitischer Hinsicht leistet die ehrenamtliche Mitarbeit „einen eigenständigen Beitrag“ und trägt dadurch „wesentlich zur positiven Akzeptanz der Kirche in unserer Gesellschaft bei“ (Rahmenkonzept Ehrenamt, S. 3). Der Caritasverband hat ein weites Verständnis von sozialem Ehrenamt und arbeitet auf folgenden drei Ebenen mit Ehrenamtlichen zusammen:
- in Einrichtungen des eigenen Verbandes,
- in sozial-caritativen Aufgaben der Kirchengemeinden,
- in den Stadtteilen und Quartieren.
Vor allem in den Stadtteilen unterstützt der Caritasverband die Aktivierung der Bürger*innen. Hierbei geht es um die Verbesserung des Wohnumfeldes, um mehr Lebensqualität und die Vertiefung des sozialen Zusammenhaltes in der Stadtgesellschaft. Diese Sicht ehrenamtlichen Engagements geht über ein rein pfarrgemeindlich- binnenkirchliches Verständnis hinaus und bejaht konfessionelle, religiöse Pluralität. Es ist somit klar, „dass ehrenamtliche Mitarbeit beim Caritasverband nicht nur von katholischen Christen geleistet wird. Es bietet sich vielmehr die Chance zur Einbeziehung von Menschen anderer Religionsgemeinschaften oder humanistischer Werthaltungen“. (Rahmenkonzept Ehrenamt, S. 4) Angesichts der multikulturellen Lebensformen und der fortschreitenden Säkularisierungstendenzen in Frankfurt gewinnt diese Öffnung des Ehrenamts in außerkirchliche Bereiche hinein für den Verband und das soziale Engagement der Pfarreien zunehmend an Bedeutung Die interkulturellen und multireligiösen Begegnungen können kirchliches Denken und Handeln in vielfältiger Form bereichern und befruchten.
Für den Caritasverband Frankfurt ist die Kooperation mit ehrenamtlichen Mitarbeitern und Initiativen kein Selbstzweck, sondern steht unter der übergreifenden Zielsetzung, Gemeinsinn, Solidarität in der Gesellschaft zu stärken und die Kirchengemeinden in ihrem sozialpastoralen Auftrag zu unterstützen.
Im Blick auf das Verhältnis von Ehrenamt und Hauptamt innerhalb des eigenen Verbands entspricht es dem Selbstverständnis der Caritas, dass beide gleichberechtigt und auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Der ehrenamtliche Einsatz „ergänzt und bereichert“ die professionelle Sozialarbeit, ohne diese zu ersetzen. Er hilft das breite verbandliche Leistungsangebot abzusichern.
Wie sieht der Caritasverband die haupt- und ehrenamtliche Arbeit in der Kooperation mit den Kirchengemeinden? Der oben beschriebene Anspruch des partnerschaftlichen Miteinanders gilt auch für das Zusammenwirken von Caritas-Hauptamtlichen mit Ehrenamtlichen in den Pfarrgemeinden. Allerdings ist anzuerkennen, dass es durchaus Unterschiede zwischen theoretischem Anspruch und der praktisch gelebten Wirklichkeit gibt und die Zusammenarbeit zwischen Caritas und Pastoral in Geschichte und Gegenwart nicht immer frei von Konflikten war und ist. Umso wichtiger ist es, Konflikte gemeinsam in den Blick zu nehmen und im Gespräch aller Beteiligter nach dem nächsten Schritt zur Lösung zu suchen. Im Zusammenspiel der drei maßgeblichen Akteure – den Hauptamtlichen in der Pastoral, den Hauptamtlichen der verbandlichen Caritas und den Ehrenamtlichen in den Kirchengemeinden – muss deshalb immer wieder auf eine gute Kommunikationsund Austauschkultur geachtet werden.
Bündelung der Herausforderungen
Dr. Christina Riese
Es entstehen also Herausforderungen und Konfliktlinien in erster Linie in der Erwartung an die Zusammenarbeit: Ehrenamtliche in der Kirchengemeinde erwarten die Beteiligung an Entscheidungen während Hauptamtliche im Caritasverband professionelle Entscheidungen in ihrer Kompetenz sehen und Ehrenamtliche nach dem Verständnis des Caritasverbandes als Mitarbeiter* innen verstehen, die auch in die Hierarchie des Verbandes eingeordnet sind und die eigene Aufgaben haben. Gleichzeitig erwarten sie die Anerkennung ihrer Professionalität durch die Ehrenamtlichen. Diese Konfliktlinie ist im jeweiligen Selbstverständnis begründet. Hauptamtliche im Verband handeln nach professionellen Standards, mit dem Ziel Menschen dabei zu unterstützen langfristig möglichst ohne Hilfe auszukommen, während Engagierte in den Gemeinden aus dem Glauben handeln und u.U. persönliche Beziehungen aufbauen. Dabei ist es auch von Relevanz, wer das Projekt anstößt bzw. aufsetzt und wo die Federführung liegt.