
Jörg Heuser
Arbeitswelt und Kirche
Frankfurt
Stellen Sie sich vor, Sie dürften sich was wünschen. Zum Beispiel einen Trupp fleißiger Helferinnen und Helfer, die einen oder mehrere Tage vorbeikommen und ein Projekt, das schon immer mal angegangen werden sollte, in die Tat umsetzen. Jörg Heuser, Theologe und mit seinem Projekt „Ankerplatz-ffm“ zuständig für den Bereich Arbeitswelt, kann genau dies möglich machen. Er bietet Social Days an, also Tage, an denen Teams aus in Frankfurt ansässigen Unternehmen für einen Tag ihr Büro hinter sich lassen und kräftig mit anpacken, um soziale Projekte zu verwirklichen. „Dafür sind wir auch aktuell wieder auf der Suche nach guten Ideen, zum Beispiel in sozialen Einrichtungen“, sagt Heuser.
Gerade ist der neunte Social Day vorbei, zwei weitere sind für die zweite Jahreshälfte geplant. Gut 70 Berufstätige haben seit dem Start vor zwei Jahren mitgemacht und die Ärmel hochgekrempelt. Wer an einem Social Day teilnimmt, gibt einen Tag seiner Arbeitskraft und kann am Ende ganz konkret sehen, was sie oder er in der Zeit geleistet hat. Im Juni war Heuser mit drei Gruppen in Sossenheim an der Albrecht-Dürer-Schule und gestaltete den Schulhof um. Die Ehrenamtlichen malten in Kooperation mit den Lehrkräften und Kunstklassen Bodenbilder, zimmerten Matschküchen und bauten einen Wegweiser. Bei vorherigen Gelegenheiten verschönerten Teilnehmende den Caritas-Tagestreff für Obdachlose in der Bärenstraße mit Wandbildern, bauten und bepflanzten Hochbeete im Haus Thomas, einem Heilpädagogischen Institut für Kinder und Jugendliche, und renovierten in Nied ein leerstehendes Wasserhäuschen, das nun als Raum für Beratung genutzt wird (siehe auch hier: Bezirk Frankfurt: Tausche Skyline-Büro gegen Open-Air Werkstatt).
Kurios: Die Nachfrage von Unternehmen ist so groß, dass Heuser immer mal wieder die Projekte ausgehen. Deshalb hält er stets die Augen nach potenziellen Kooperationspartnern offen. „Die Leute lieben das Konzept“, stellt er fest. Mitarbeitende genießen es, mal einen Tag etwas ganz Anderes zu machen, weg vom PC und raus aus dem Schreibtischstuhl zu kommen und zur Abwechslung einmal handwerklich zu arbeiten. „Es ist für sie ein schönes Erlebnis, am Ende des Tages zu sehen, was sie mit ihren eigenen Händen geschafft haben“, so der Gemeindereferent. Viele Teams, die gemeinsam bei einem Social Day starten, kennen sich kaum untereinander und nutzen die Möglichkeit, sich im Rahmen der gemeinsamen sozialen Arbeit einmal richtig zu begegnen. Häufig sind sie international aufgestellt, auf Wunsch findet ein Social Day auch komplett auf Englisch statt. Für Heuser, der bereits in den USA lebte und arbeitete, zum Glück kein Problem.
Social Days bringen Menschen zusammen, die sonst nie zusammengekommen wären. „Wir alle haben eine Idee davon, was eine Grundschullehrerin arbeitet oder was ein Bänker so tut. Selten stimmt dies mit der Realität überein und oft übersehen wir die Herausforderungen vor denen andere stehen,“ so Heuser. Beim gemeinsamen Arbeiten und Essen werden Vorurteile und Berührungsängste schnell abgebaut. Menschen lernen sich kennen und entdecken Gemeinsamkeiten.
Das Projekt Ankerplatz-ffm – Kirche in der Arbeitswelt lädt Berufstätige in Frankfurt ein, miteinander ins Gespräch zu kommen, zum Beispiel bei der Veranstaltungsformaten wie dem Jobtalk-Café, dem jährlichen Jobtalk-Sommerfest in der Kirche im Grünen im Höchst oder ganz praktisch bei den Mobbing-Gesprächskreisen und der Mobbing-Hotline. Auch Seelsorge in Unternehmen, zum Beispiel wenn ein:e Kolleg:in schwer erkrankt oder verstirbt, wird bei Jörg Heuser angefragt. Er ist Gemeindereferent und in dieser Funktion seit 2021 zuständig. Unter anderem bietet er auch jährliche Segelexerzitien für Berufstätige und für Firmenals Teambuilding Seminar auf dem Ijsselmeer an. Weitere Infos auf www.ankerplatz-ffm.de.
Wie zum Beispiel die Lehrerin einer Grundschule mit hohem Migrationsanteil unter den Kindern und die Leiterin eines internationalen Teams. „Beide haben die Aufgabe, unterschiedliche Erwartungen und Vorlieben unter einen Hut zu bringen und eine gemeinsame Kultur in ihrer Gruppe zu schaffen. Leicht ist das für beide nicht“, so Jörg Heuser. Im Gespräch tritt Verbindendes schnell zutage. Vom Projekt profitieren alle, die mitmachen. Die Teams freuen sich, etwas ganz praktisches und zugleich Sinnstiftendes zu schaffen, die Leitung über ein willkommenes Teambuilding Event und die Einrichtungen freuen sich über die tatkräftige Unterstützung.
„Wenn man Andere in ihrer Lebenswelt erlebt, mit dem was sie können und nicht können, dann fördert das den Respekt und die Würde des Einzelnen“, so Heuser. Zum Beispiel, wenn eine Gruppe gemeinsam mit suchtkranken Obdachlosen arbeitet, denen das Dranbleiben an der Aufgabe sichtlich schwer fällt. „Das irritiert vielleicht. Aber es lässt auch erkennen, dass man nicht an jeden Menschen die gleichen Maßstäbe anlegen muss und ihn trotzdem achten kann“, sagt Heuser.
Mit Blick auf die Arbeitswelt nimmt er eine große Verunsicherung wahr, immerhin sind viele Arbeitnehmer:innen konfrontiert mit der Angst vor Jobabbau, der immer größer werdenden Bedeutung von KI und anderen Faktoren, die den eigenen Arbeitsplatz als nicht mehr so stabil erscheinen lassen. Einen Weg zurück in die Vergangenheit wird es nicht geben, auch wenn populistische Parteien damit werben, dass „früher alles besser gewesen sei“. Miteinander zu sprechen, zu erleben, welche Herausforderungen es in anderen Berufssparten gibt, und gemeinsam etwas zu schaffen trägt dazu bei, den anderen zu respektieren, Vorurteile abzubauen und verhindert, dass rechte Gruppierungen, die eine Rückkehr der „guten alten Zeit“ versprechen, noch mehr Zulauf bekommen.
In all den Unsicherheiten tut es gut, sich selbst und seine Fähigkeiten wieder mehr zu spüren. Die Social Days laden ein einfach mal etwas auszuprobieren, das man noch nie zuvor gemacht hat – zum Beispiel, mit einer Bohrmaschine umzugehen, etwas zu lackieren, mit Farbe kreativ zu arbeiten. Sich auf etwas einzulassen, Verunsicherung zuzulassen, Herausforderungen zu meistern und kleine Erfolge zu feiern – das gibt Kraft, die man auch in anderen Lebensbereichen wie dem Joballtag gut gebrauchen kann.
Eine klassische Andacht gibt es im Rahmen der Social Days übrigens nicht, die christliche Grundhaltung der Nächstenliebe reicht aus, um das Ganze zu einem kirchlichen Projekt zu machen. Eine Art Dank- und Fürbittenrunde steht am Ende eines jeden Arbeitstages aber doch: „Dann legen alle ihr Werkzeug nach und nach in die Kiste; das ist ein ritueller, fast spiritueller Akt. Wir haben getan, was wir tun konnten. Wie es weiter geht, entzieht sich uns. Wir geben es theologisch gesprochen ab in Gottes Hand.“ Die Runde zum Abschluss des Social Day sei obligatorisch und häufig sehr emotional, berichtet Jörg Heuser. Jede und jeder solle dort noch mal zu Wort kommen und reflektieren können: "Wie geht es dir jetzt? Was sind deine Wünsche an das Projekt? Welche Begegnungen hast du gehabt? Was hat sich bei dir verändert?"