Frankfurt
Besuch im emotionalen Hotspot Frankfurts
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Wer braucht heute noch die katholische Kirche? Die Stadt zum Beispiel, und zwar dringend. Das sagte Elke Voitl, Dezernentin für Soziales und Gesundheit, die als Gastrednerin eingeladen war zu einem Nachmittag und Abend mit Bischof Georg Bätzing im Studierendenwohnheim Friedrich-Dessauer-Haus in Hausen. Der Limburger Bischof besucht im zweiten Halbjahr alle fünf Regionen seines Bistums – und am Freitag war Frankfurt an der Reihe.
Für die Stadtkirche eine gute Gelegenheit, das Licht auf Herausforderungen im urbanen Umfeld zu werfen. Kinderarmut ist eine davon, und Elke Voitl machte deutlich, dass ohne die Kirche kaum eine Möglichkeit besteht, das drängende Problem in den Griff zu bekommen. Jedes vierte Kind in Frankfurt wachse in Armut auf, so Voitl – und diese Armut werde aus Scham oft verborgen und bleibe deshalb auch unbemerkt von denen, die helfen könnten. Deshalb hat die Dezernentin vor kurzem das Bündnis gegen Kinderarmut ausgerufen und versucht mit verschiedenen Bündnispartnern seitdem, in zunächst vier sozial schwachen Pilot-Stadtteilen konkrete Verbesserungen für die Menschen vor Ort zu schaffen. Ein wichtiger Faktor der Betrachtungen sind dabei sogenannte Lebenslagenkarten, die das Sozialdezernat mit eigenen Daten, aber auch Daten des Gesundheitsamts und Umweltamts erstellt hat, um einen Einblick in die tatsächliche Lebenssituation, auch Armutssituation, in einzelnen Stadtteilen zu bekommen.
An dieser Stelle schlug Voitl den Bogen zur katholischen Kirche. „Die Kirche ist ein ganz wichtiger Akteur, weil sie an Ort und Stelle bleibt. Sie wird als zuverlässiger und vertrauenswürdiger Partner wahrgenommen, gerade diese Verlässlichkeit ist für Menschen in unsteten Situationen enorm wichtig.“ Für Kirche sei Armut kein wirtschaftliches, sondern ein spirituelles Thema, das umfassend zum Beispiel auch Fragen von Selbstwirksamkeit und die Stärkung persönlicher und gesellschaftlicher Ressourcen aufwerfe. Kirche könne Solidarität organisieren, wo sich Lebenswelten sonst kaum begegnen, nur Kirche schaffe es, zum Beispiel Obdachlose und Manager:innen in Projekten solidarisch zusammenzubringen. Voitl lobte: „Ich freue mich, dass wir an vielen Stellen gut zusammenarbeiten, und bin optimistisch, dass wir sehr viel in dieser Gemeinsamkeit bewegen können.“
Was Feldhamster dem Menschen voraus haben
Auf dem nachfolgenden Podium bedankte sich Gaby Hagmans, Frankfurter Caritasdirektorin, ausdrücklich für die Erstellung der Lebenslagenkarten. Sie erinnerte an die Diskussion und den Erkenntnisprozess rund um das als „Josefstadt“ bekannt gewordene Stadtteil-Neubauprojekt – ein noch immer laufendes Politikum, das aktuell als „Stadtteil der Quartiere“ diskutiert wird. „Damals saß ich in der Jury, die Wohnsituationen, Sozialstrukturen und Umweltsituationen beleuchten sollte. Dazu konnte ich aus dem Sozialen aber wenig Kennzahlen nennen.“ Was Tiere und ihren Schutz im Rahmen von Bauprojekten betrifft, gebe es genaue Vorschriften, doch unter welchen Umständen Menschen leben sollten, dafür gäbe es kaum strukturelle Erkenntnisse, dabei würden diese dringend gebraucht, so Hagmans.
Wir als katholische Kirche versuchen, Beheimatung entstehen zu lassen, denn die schlimmste Armut in der Stadt ist die Heimatlosigkeit und Einsamkeit. Quelle: Monika Humpert, Vorsitzende der Stadtversammlung
Christiane Moser-Eggs, Leiterin der katholischen Stadtkirche in Doppelspitze mit Michael Thurn, betonte, die Kirche fühle sich als Partner der Stadt, schaffe diese Herausforderung aber nicht alleine. Gerne würde man aber die Erkenntnisse der Stadt für die eigene Weiterarbeit nutzen.
Dem schloss sich Bischof Georg Bätzing umfassend an. „Ihre Karte zeigt genau den Schnitt, den wir auch in der Pfarrei erleben“, sagte er in Richtung Voitl. „Wir als Kirche können die Daten der Stadt nutzen, um Erkenntnisse über Seelsorge und nötige Präsenz daraus zu ziehen. Wir müssen das Gesamte der Stadt in den Blick nehmen, wenn wir über Sparprozesse und Notwendigkeiten nachdenken. Denn solche Daten sind eine Chance, klarer zu erkennen, wo und mit was wir präsent sein wollen und gebraucht werden.“
Gaby Hagmans wies darauf hin, dass es bereits sehr viele Angebote im Kampf gegen Armut in den Pfarreien und Einrichtungen gebe, wie zum Beispiel die allgemeine Sozialberatung der Caritas, Hilfenetze und vieles mehr. Diese müssten nur bekannter werden. Und niedrigschwelliger, wie der Evangelische Stadtdekan Holger Kamlah betonte, der ebenfalls am Programm rund um den Bischofsbesuch teilnahm. Er erzählte von Familien, die mit ihren neugeborenen Kindern zu Tauf-Events der evangelischen Kirche kämen, weil ihnen der Kontakt zur Gemeinde zu kompliziert sei. „Wir sind nicht niedrigschwellig an vielen Stellen“, gab Kamlah zu bedenken. „Wir müssen uns hinterfragen, wo wir Hemmschwellen aufbauen.“
Schlimmste Armut ist Einsamkeit
Die Vorsitzende der Stadtversammlung, Monika Humpert, erinnerte daran, dass Kirche eine wichtige Rolle im Kampf gegen Einsamkeit in der Stadt spiele: „Wir versuchen, Beheimatung entstehen zu lassen, denn die schlimmste Armut in der Stadt ist die Heimatlosigkeit und Einsamkeit. Wir sind so etwas wie ein emotionaler Hotspot in der Stadt.“ Das fand große Zustimmung.
In seinem Impuls am Abend kam Bischof Bätzing auch auf die schwindenden Mitgliederzahlen der Kirche und die damit verbundenen notwendigen Einsparungen zu sprechen. Kooperationen seien der Weg, auch künftig in der Gesellschaft präsent zu bleiben. „Die Hoffnungsvollen sind die, denen ich folgen möchte. In einer Stadt wie Frankfurt finden wir unsere Nachbarn, mit denen wir Projekte entwickeln können, die allen Zugute kommen“, so der Bischof.
In der nachfolgenden Diskussion sagte Michael Thurn, Leiter der katholischen Stadtkirche in Doppelspitze mit Christiane Moser-Eggs, dass die Kirche ihren Glauben vertrete, indem sie Verantwortung in der Stadtgesellschaft übernehme: „Wir müssen uns darin üben, unser Christsein zu bezeugen. Das würde ich mir wünschen, auch wenn wir über Geld und Ressourcen sprechen.“
Marianne Brandt, Vorsitzende des Stadtsynodalrats, fügte an: „Wir wollen uns nicht verstecken hinter dem ,Wir werden kleiner‘.“ Als gelungenes Beispiel fürs Einfach-Machen nannte sie das „Café Deutschland“, ein ökumenisches Projekt, in dem geflüchtete Neu-Frankfurterinnen und Neu-Frankfurter schon seit vielen Jahren sehr effektiv Deutsch lernen. „So eine Offenheit wünsche ich mir auch an anderer Stelle in der Kirche“, sagte Brandt.