FRANKFURT, 16.08.2018

Mühsames Ringen um einen fragilen Kompromiss

Ein Schwangerschaftsabbruch ist ein schreckliches Unheil - und doch haben Frauen das Recht auf vorurteilsfreie Information. Ist das schon Werbung?

Die Aufgabe des Moderators Daniel deckers (FAZ) ist nicht leicht: Ausdrücklich soll an diesem Mittwochabend, 15. August, beim Aktuellen Forum des Frankfurter Domkreises Kirche und Wissenschaft im Haus am Dom ausschließlich über den Paragraph 219a des Strafgesetzbuches diskutiert werden, das Verbot für Ärzte, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben. Doch Sinn und Berechtigung des weit bekannteren Paragraphen 218, der Abtreibungen nicht erlaubt, aber straffrei stellt, drängen immer wieder in den Vordergrund.

Auslöser der neuerlichen Debatte war der Fall einer Gießener Frauenärztin, die Schwangerschaften abbricht und auf ihrer Webseite über straflose Schwangerschaftsabbrüche informiert, die sie nach den strengen Richtlinien der deutschen Gesetzgebung vornimmt. Niemand auf dem Podium will aggressive Werbung, aber sachliche Informationen müssten erlaubt sein, findet die Frauenärztin Sabine Riese aus Alsfeld, die auch schwangere Frauen in Konflikten berät. Sie sieht vor allem im ländlichen Raum große Schwierigkeiten für Frauen, sich sachgerecht zu informieren. Die Hetze rigider Abtreibungsgegner sei entwürdigend für die betroffenen Frauen, die sich in großer Not zu diesem Schritt entschlössen. Aber auch Ärzte würden an den Pranger gestellt, obwohl sie nach Recht und Gesetz handelten: „Wir wollen uns nicht schämen!“

Auch der Juaprofessor Cornelius Prittwitz von der Goethe-Universität sieht eine große Verantwortung bei so genannten Lebensschützern. Seit der Neufassung der Abtreibungsregelung 1996 habe der Paragraph 219a kaum eine Rolle gespielt, jetzt werde er plötzlich zum Thema gemacht, um das ganze mühsame Konstrukt des Abtreibungsrechts zu Fall zu bringen und Frauen und Ärzte zu diffamieren.

Gute Information gibt mehr Zeit zum Nachdenken

Auf die Bedeutung einer sachlichen Information verweist auch die Frauenärztin Hannelore Sonnleitner-Doll von pro familia Frankfurt. Keine Frau breche leichtfertig eine Schwangerschaft ab, viele treibe die Angst vor Armut zu diesen Schritt oder die Befürchtung, mit ihrem Schicksal alleingelassen zu werden. Wer sich ausreichend selbst informieren könne, habe mehr Zeit für eine ausführliche Beratung und könne seine Entscheidung auch für das Kind in größerer Ruhe treffen, zeigt ihre Erfahrung. So entschlössen sich 57 Prozent der Frauen, die zur Konfliktberatung zu pro familia kommen, das Kind auszutragen.

Stadtdekan Johannes zu Eltz nennt das Werbeverbot richtig, spricht sich aber für ein umfassendes Beratungsrecht aus. Der „mühsam errungene Kompromiss“ zum Paragraphen 218 mache niemanden glücklich. Doch die „unheilvolle Materie“ dürfe nicht auf dem Rücken der Frauen ausgetragen werden:  „Jede Abtreibung ist ein großes Unglück, aber die Frauen haben ein Recht auf Information. Und sie müssen geschützt werden“, sagt der katholische Stadtdekan.

Angst vor einem Dammbruch

Die CDU-Politikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker, Bundestagsabgeordnete aus dem Rhein-Sieg-Kreis, wehrt sich vehement gegen den Eindruck, eine Abtreibung könne „wie ein normaler Vorgang aussehen“, wenn dafür in welcher Form auch immer geworben werden dürfe. Sie gesteht aber auch zu, wie schwierig die Unterscheidung zwischen notwendiger Information und unlauterer Werbung ist.

Doch Angst vor einem Dammbruch hält der Jurist Prittwitz für „vollkommen unrealistisch“. Seit Jahren sinke die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland, von rund 130.000 im Jahr der neuen Gesetzgebung 1996 auf mittlerweile unter 100.000. Dass diese Zahl in einem wohlhabenden Sozialstaat wie der Bundesrepublik immer noch viel zu hoch ist, darüber sind sich alle Podiumsteilnehmer einig. Einen ganz anderen Dammbruch aber befürchtet die Ärztin Sabine Riese: Wenn die Pränataldiagnostik eine „ganz normale Kassenleistung“ werde, dann verschwinde die Bereitschaft, Menschen mit Behinderung als Teil der Gesellschaft zu akzeptieren, vollends. Aber das ist ein anderes Thema für das Aktuelle Forum…

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