27.02.2016
Pilgern - spirituell oder sportlich
FRANKFURT.- Den einen ist es ein spirituelles Bedürfnis, die anderen wollen zu sich selbst finden, wieder andere treibt der sportliche Ehrgeiz: Aber alle sind unterwegs auf zum Teil Jahrhunderte alten Pilgerwegen durch ganz Europa und bis nach Jerusalem. Pilgern gehört zweifelsohne zu den großen Trends der Gesellschaft. Kein Wunder, dass die 1. Frankfurter Pilgerbörse am Samstag, 27. Februar, schon kurz nach Toresöffnung völlig überfüllt war.
Im großen Saal des Gemeindezentrums der Offenen Kirche Mutter vom guten Rat in Niederrad drängten sich hunderte Menschen zwischen den Ständen der Reiseanbieter, Pilgerinitiativen und Jakobsgesellschaften. Im ersten Stock lauschten sie in großer Zahl den Präsentationen und Lesungen zu den klassischen Pilgerwegen - Camino frances, Via della Pace oder Caminho portugues da Costa.Im Café Camino kamen die ehrenamtlichen Helferinnen kaum nach mit dem Verkauf von Tapas und Kuchen.
Lebensbewältigung auf dem Pilgerweg
Und zwischen den Markständen waren immer wieder ergreifende Geschichten von eigenen Pilgererfahrungen zu hören. Christa Sack aus Niederrad etwa hatte eigens eine Foto-Collage von ihrem ersten Camino mitgebracht: „Da hatte ich mich auf den Weg gemacht, kurz nach einer Krebserkrankung, einfach aus Dankbarkeit, dass ich noch am Leben war,“ erzählt sie. Später ist sie sechs Wochen lang auf dem Silberweg, der Via della Plata, 1200 Kilometer von Sevilla nach Santiago de Compostela, gewandert. Einmal auch als Pilgerpatin für ihren Schwager: „Für ihn war das eine echte Lebensbewältigung.“ Auch den portugiesischen Weg ist sie schon gelaufen, „das aber eher als Wanderung, ohne Pilgerabzeichen“, wie sie lächelnd berichtet.
Ihre Jakobsmuschel trägt dagegen Annette Voss aus Niederrad mit Stolz: „Beim Pilgern kann man wegwerfen, was einen belastet“, hat sie erfahren, „andere finden dann manchmal Dinge, die sie in ihrer ganzen Symbolik zum Ziel führen.“ Und damit meint sie nicht das Wanderziel. Miriam Penkhues von der Pilgerstelle des Bistums Limburg, die mit einem großen Stand auf der Pilgerbörse vertreten ist, hat Ähnliches gehört: „Wir hatten noch gar nicht geöffnet, da kamen die ersten um über spirituelle Erfahrungen beim Pilgern zu berichten.“ Viele Besucher seien schon auf den großen europäischen routen unterwegs gewesen und suchten jetzt Wege in der näheren Umgebung, um die Erfahrungen aufzufrischen und zu vertiefen. Deshalb stellt das Bistum vor allem gut erreichbare Wege in Hessen und Rheinland-Pfalz vor: den Kercheweg bei Bad Camberg, die Bonifatiusroute von Mainz nach Fulda, den Marienstattweg rund um das Zisterzienserkloster Marienstatt im Westerwald oder den Lubentiusweg durch das Daubachtal nach Hirschberg.
Von Vielpilgern und Kilometersammlern
Zu den Vielpilgern gehört die Frankfurterin Ingrid Iwanowsky. Sie schätzt die innere Einkehr, die auf den Wanderungen möglich sei. „Aber auch die Landschaft ist wunderbar. Man lernt Land und Menschen von einer ganz anderen Seite kennen, „ erzählt die zierliche Dame. „Ich bin jetzt über 70, aber ich würde gerne sofort wieder losziehen“, meint sie mit einem Lächeln. Andere stehen zu ihrem Ehrgeiz, berichten stolz, dass sie schon sieben Routen absolviert haben oder insgesamt 3000 Kilometer zu Fuß unterwegs waren.
Neue Wege zu sich selbst
Frank Böhms Anliegen ist ein anderes: „Ich möchte Spanien in den Odenwald bringen“, berichtet er mit einem Schmunzeln. Die Regionalgruppe Odenwald des Jakobswegs, die er in Frankfurt auf der Pilgerbörse vertritt, ist noch dabei, eine Infrastruktur aufzubauen und Kontakte zu knüpfen: „Es fehlen noch einfache und günstige Übernachtungsmöglichkeiten. Deshalb werben wir jetzt bei Kirchengemeinden, Kommunen und Privatleuten um Herbergsplätze.“ Am Ende soll ein Pilgerweg durch den Odenwald von Aschaffenburg nach Heidelberg entstehen.
Auch die vor zwei Jahren gegründete Hessische Jakobusgesellschaft, die diese erste Pilgerbörse auf den Weg gebracht hat - passenderweise auf dem Gebiet der katholischen Pfarrei St. Jakobus - ist noch dabei, neue Wege zu kennzeichnen und alte Routen wieder bekanntzumachen, um so die örtliche Wallfahrtstradition zu beleben. Mit der Pilgerbörse Vamonos hat sie einen großen Schritt hin zu einer engeren Vernetzung getan und vielen Interessierten neue Wege zu sich selbst gewiesen. (dw)
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