19.12.2015
Mit Herzblut und Hammer
FRANKFURT.- Sperrholzbretter, Wasserwaage, Bohrmaschine. Links eine höhlenartige Landschaft aus Stoff und Moos, die vom Boden bis unter die Decke reicht. Rechts eine noch nackte Bergkulisse. Inmitten der „größten und schönsten Krippe Frankfurts und Hessens“ ? daran lässt der Mann im Verlauf des Besuchs keine Zweifel ? steht Michael Christof und macht gerade eine Verschnaufpause, als seine Gäste die Szenerie betreten. „Ach, guten Tag, guten Tag“, ruft er.
Schon bei der Terminvereinbarung am Telefon hatte der 50-Jährige „etwas Tolles“, eine Überraschung, auf die man gespannt sein dürfe, angekündigt. „Tage, Nächte, Wochen, Monate“ arbeitet er bereits daran. Seit, Christof muss rechnen, inzwischen 23 Jahren baut er der Deutschordenskirche in der Brückenstraße eine Krippe. Groß war sie schon immer. So groß wie in diesem Jahr noch nie. „Wir haben vier Ebenen“, erklärt er, „kommen Sie!“ Christof scheucht seine Gäste kreuz und quer durchs Kirchenschiff. Links neben der Eingangstür das Hauptgeschehen ? die Verkündigungsszene und Jesu Geburt ? rechts neben der Eingangstür die Kinderkrippe, während des Besuchs noch im Bau. Über der Tür, als Verbindung beider Teile, der Nebenschauplatz ? Hirten, Kamele, die Heiligen Drei Könige. Und, dieses Jahr ganz neu, im Seitenaltar eine weitere Landschaft. „Wir haben zwei zusätzliche Figuren dazubekommen, einen Hirten und ein Schäfchen ? die mussten wir doch irgendwo unterbringen“, erklärt Christof und deutet auf die Mooshügel, die sich auf dem Beichtstuhl erstrecken. Was der Pfarrer dazu gesagt hat? Christof zuckt mit den Achseln. „Wir haben ihn einfach gefragt, ob er etwas dagegen hat, wenn wir seinen Beichtstuhl verschandeln.“
Von Gold umhüllt
Eiligen Schrittes zurück zum Hauptgeschehen. Dort, wo das Jesuskind, bewacht von Maria und Josef, Ochs und Esel, in einer Höhle auf Moos gebettet liegt. Dort, wo sich die am Telefon angekündigte Überraschung offenbart: Fluten goldenen Pannesamts. Über Brettern drapiert und befestigt. „Zu viel Gold“, kommentierte Christofs Mutter, die mächtig stolz ist auf ihren Sohn und sein Schaffen. „Er schimmert so schön“, meint der Krippenbauer. Und tatsächlich ? alles leuchtet golden, am Himmel über der Krippe funkeln tausende kleiner Birnchen durch den Samt wie Sterne in der Nacht. Sehr stimmungsvoll. „Und“, Christof kann das nicht oft genug betonen, „alles sicher!“ Der Kirche könne nichts passieren. Selbstverständlich befinde sich zwischen jedem Lämpchen und jedem Stück Stoff ein angemessener Sicherheitsabstand.
Woraus die alte Krippe bestand? „Na, aus Wurzeln.“ Michael Christof kichert. Nach so vielen Jahren konnte er die allerdings nicht mehr sehen. „Da muss etwas ganz Neues her“, dachte er im Sommer. „Eine Krippenrevolution!“ Bis Anfang November war er allerdings nicht sicher, ob seine Revolution tatsächlich stattfinden würde. „Uns hat ein Konzept gefehlt“, gibt er zu. Dann haben er und sein Helfer Daniel Then entschieden: „Wir können die Kinder an Heiligabend nicht ohne Krippe dastehen lassen. Wir machen es!“ Die meisten Einfälle kämen ohnehin beim Bauen. Alle fünf Minuten habe Christof eine neue Idee, erzählt Then, der den Krippenbauer seit vergangenem Jahr unterstützt und für die Handwerksarbeiten zuständig ist. „Manchmal mache ich die Säge nur deswegen an, um ihn nicht hören zu müssen.“
Rund 400 Stunden Arbeit stecken die beiden in den Bau der Krippe. Alles ehrenamtlich. Christof nimmt dafür zwei Wochen Urlaub von seinem Job als Einzelhandelskaufmann, Then, gelernter Orgelbauer, kann seine Zeit frei einteilen. Sie arbeiten täglich zwischen 8 und 23 Uhr, verbauen 3.000 Birnchen, 80 Spots, 14 Strahler, 500 Meter Stoff, unzählige Kabel und Steckdosen, Pfosten, Latten, kahle Christbaumstämme und Sperrholzbretter, die für jede Krippe neu arrangiert werden. Allein in diesem Jahr wurden 20 Kisten frisches Moos geliefert, zusätzlich zu dem erhaltenen aus den vergangenen Jahren. Rund 1.300 Euro kostet das Werk, finanziert durch Spenden, die man in einem von einem kleinen Mohr bewachten Opferstock unauffällig hinterlassen kann.
Vom „Krippevirus“ infiziert
Herr Christof ? auf einer Skala von eins bis zehn: Wie verrückt muss man sein, eine Krippe dieses Ausmaßes zu bauen? „Elf!“ „Krippevirus!“ Krippenbauhelfer Then lacht. Infiziert hat sich Michael Christof bereits als Sechsjähriger, als er dem damaligen Küster half, die Krippe in der Deutschordenskirche aufzubauen. Als er das erste Mal ein Gips-Schäfchen in der Hand hielt, war?s um ihn geschehen. Als ein neuer Küster kam, der nur mäßiges Talent für die Darstellung der biblischen Geschichte bewies, übernahm Christof. Und übertrifft sich seither jedes Jahr selbst. „Was glauben Sie denn ? die Leute haben natürlich eine Erwartungshaltung.“
„3D Effekt“, sagt Christof immer wieder. In einer Landschaft, die sich über mehrere Etagen erstreckt, die Vor- und Rücksprünge und Höhlen hat, verteilen sich die 150 Figuren. Christof geht in die Hocke „Sehen Sie?“, ruft er. Egal von welcher Position aus ? immer gibt es etwas zu entdecken. Dann eilt er nach rechts zur Kinderkrippe, lässt sich auf den Po fallen und sagt: „Sie müssen sich vorstellen wie so ein kleiner Knirps hier direkt vor der Krippe sitzt.“ Das Staunen der Kinder ist Christofs schönster Lohn, wenn sein Bauwerk bei der Kinderchristmette der Deutschordenskirche an Heiligabend um 16 Uhr zum ersten Mal für die Öffentlichkeit zu sehen ist.
Bis Heiligabend versteckt
So sehr Christof vom Krippevirus befallen ist ? „wenn sie aufgebaut ist, bin ich froh, sie nicht mehr sehen zu müssen“, sagt er. Bis Heiligabend bleibt sie verhüllt, danach kann man sie bis zum 6. Februar täglich von 12 bis 18 Uhr besuchen. Wer in dieser Zeit mehrmals kommt, wird feststellen, dass sich die Szenerie verändert. Die Heiligen Drei Könige rücken vom Nebenschauplatz über der Tür in die Mitte des Geschehens ? am 6. Januar, dem Dreikönigstag, stehen sie im Stall, um das Jesuskind mit Gold, Weihrauch und Myrrhe zu beschenken.
Zum Schluss des Besuchs noch eine Frage, Herr Christof: Wie sieht es in der Weihnachtszeit bei Ihnen zu Hause aus? „Ich habe mehrere Räume weihnachtlich dekoriert“, sagt er bescheiden. Dass in einem dieser Räume eine nicht gerade kleine Krippe aufgebaut ist, versteht sich von selbst. (pm/Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt)