Zwischen berechtigten Interessen und elender Not
Einfache Lösungen waren nicht zu erwarten. Und es gibt sie wohl auch nicht. „Bettelarm – wie geht Frankfurt mit seinen Bettlern um?“ lautete die Frage beim Aktuellen Forum des Frankfurter Domkreises Kirche und Wissenschaft am Mittwoch, 4. Dezember, im Haus am Dom. Und die Besetzung des Podiums zeigte eindrücklich, wie unterschiedlich die Blickwinkel und die allseits berechtigten Interessen sind, wie heftig aber auch die schiere Not von Menschen zu Buche schlägt.
Da sind Frank Diergardt, Sprecher des Vereins „Neue Zeil“ und zuständig für zahlreiche Liegenschaften an der Frankfurter Haupteinkaufsmeile, und der Frankfurter Dezernent für Wirtschaft und Sicherheit, Markus Frank, die beide sehen, dass aggressives Betteln, vor allem aber Betrunkene, die vielerorts den Weg versperren und am Straßenrand oder in Hauseingängen ihre Notdurft verrichten, Einzelhändler verärgern und Passanten stören, wenn nicht gar ängstigen. Da sind aber auch Sr. Maria Goetzens, Ärztin und Leiterin der Elisabeth-Straßenambulanz, und Br. Michael Wies vom Obdachlosenfrühstück im Franziskustreff, die um die Not und das Elend der Menschen, die auf der Straße leben, wissen.
Ehrliches Bemühen um unterschiedliche Blickwinkel
Dass die Diskussion sich nicht in bösen Tönen und heftiger Kontroverse verliert, ist dem ehrlichen Bemühen aller Gesprächsteilnehmer zu danken, die Probleme aus unterschiedlichen Richtungen zu betrachten und die Rechte aller Bürger zu benennen. Diergardt etwa spricht vom „Menschenrecht“ auf Betteln. Bedürftigen, denen das Leben oft übel mitgespielt habe, müsse selbstverständlich geholfen werden. Er wehrt sich allerdings gegen jene, die nach seiner Beobachtung Tag für Tag die Zeil nutzen, um sich dort bis zur Besinnungslosigkeit mit Alkohol zu betrinken, die nicht betteln, aber massiv das Erscheinungsbild der Straße störten und den Weg zu den öffentlichen und kostenlosen Toiletten an Konstabler und Hauptwache offenbar nicht fänden. Ein Dorn im Auge sind ihm vor allem auch organisierte Bettlerbanden, die nach seinem Eindruck alle Verordnungen und Verbote kennen und sie geschickt umgehen, wo Leid und Gebrechlichkeit simuliert würden, um die Gutwilligkeit der Passanten und Anlieger auszunutzen.
Hier hakt Sr. Maria Goetzens ein, die zunächst ein Menschenrecht einfach da zu sein bei allen drei Gruppen anerkennt. Bei den Betrunkenen etwa sieht sie zu allererst die Sucht, die dahinter stehe und das Leben der Menschen tatsächlich vergifte. Bei den Bettelbanden weiß sie gerade in denen, die abends ihre „Einnahmen“ an die Chefs der Clans abgeben müssen, ebenfalls Opfer. Auch das sei „himmelschreiend ungerecht“.
Das ganze Leben in allen Facetten
Bruder Michael von den Kapuzinern erkennt deshalb in der Zeil eine Bühne, auf der sich das gesamte menschliche Leben in all seinen Facetten abbilde. Soziale Hilfe, Ordnungsrecht, aber auch europäische Lösungen müssten ineinandergreifen, wolle man Obdachlosigkeit nach Möglichkeit verhindern. Für Ordnungsdezernent Frank tut sich da ein Dilemma auf, denn gerade die Stadtpolizei bemühe sich nach Kräften und „mit sehr viel Herz“, den öffentlichen Raum als sozialen Raum so zu organisieren, dass sich möglichst alle Teile der Bevölkerung dort wohlfühlten.
Für Sr. Maria gibt es allerdings zu wenige Plätze, an denen Arme noch ungestört sein könnten. Die Verdrängung derer, die angeblich nicht ins Bild passten, sei massiv. Dagegen verweist Frank auf ausreichend Übernachtungsmöglichkeiten für Wohnungslose, die Öffnung der B-Ebene im Winter und viele Hilfen der Stadt. Eine „Vertreibungspolitik“ gebe es nicht. Neue Wege in der aufsuchenden Sozialarbeit sieht Br. Michael allerdings als zwingend geboten an. Es mangele in der Stadt weder an Essen noch an Übernachtungsmöglichkeiten: „Die Attraktivität des Standortes Zeil nutzen aber natürlich auch die Bettler.“ Und dass der Wunsch nach genügend Wohnraum in Frankfurt, den auch Menschen mit mittleren Einkommen oder gar Arme sich leisten können, ein frommer bleibt, wissen an diesem ernsthaften Abend auch die Diskussionsteilnehmer, egal von welcher Warte sie auf die Zeil blicken.