Wider die Sprachlosigkeit
FRANKFURT.- „Sprachlosigkeit darf nicht um sich greifen ? das wäre ein Alptraum für die Kirche“: Mit dem klaren Bekenntnis zu einem offenen Dialog auch in strittigen Fragen hat der katholische Stadtdekan von Frankfurt, Johannes zu Eltz, am Mittwoch in der Jesuitenhochschule Sankt Georgen ein Gespräch zwischen „Praxis und Theologie“ eröffnet. Basierend auf dem Frankfurter Stadtkirchenforum vom Januar, bei dem mehr als 200 Frankfurter Katholiken notwendige Reformen in der Stadtkirche angemahnt hatten, sollten an diesem Abend zwei der fünf Themenkreise aus wissenschaftlich-theologischer und praktisch-seelsorglicher Perspektive diskutiert werden.
Bei einer Online-Abstimmung im Vorfeld hatten die Themen „Subsidiarität ? mündige Christen“ und „Kirche für alle ? Schritte aus dem Reformstau“ eine klare Mehrheit für sich verbuchen können (je 52 Stimmen bei 112 Teilnehmern). Auf der Agenda stehen außerdem die Themen Qualitätsverbesserung durch Feedback, Gottesdienst und Verkündigung, Kirche und Geld. Zu allen fünf Themenkreisen hat der Stadtsynodalrat (SSR) in seiner Sitzung Ende Mai Ziele vereinbart, die im Zusammenwirken mit Gemeinden, Einrichtungen und einzelnen betroffenen Personen verwirklicht werden sollen. Im Gespräch mit Studenten und Professoren der Hochschule Sankt Georgen wurden am Mittwoch akademische Grundlagen erörtert und die Umsetzungsmöglichkeiten auf Stadtebene debattiert.
Leiden an mangelndem Vertrauen
Zur Subsidiarität, einer angemessenen Verteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf allen hierarchischen Ebenen, hat der Stadtsynodalrat beschlossen, am Beispiel je einer Pfarrei und einer Einrichtung konkret auszuprobieren, welche Entscheidungen auf den unteren Ebenen getroffen werden können und welche nur auf höheren. Zudem soll eine unparteiische Schiedsstelle zur Klärung von Konflikten in der Stadtkirche eingerichtet werden.
Im Gespräch zwischen Praxis und Theologie begründete Christiane Reeh vom SSR-Vorstand vor rund 60 Zuhörern den Wunsch der Gläubigen nach Mitgestaltung, gerade in den neu entstehenden Großpfarreien. Subsidiarität sei ein tradierter Begriff aus der Katholischen Soziallehre, der die Mitverantwortung aller Christen betone. Das erfordere vor Ort zwar „Hilfestellung von oben, aber keine Bevormundung des Kirchenvolkes“, wie Reeh betonte. „Wenn man den Gläubigen Kompetenzen abspricht, erlahmt auch das Engagement“, so ihre Erfahrung. Die Gläubigen litten massiv unter dem mangelnden Vertrauen „von oben“.
Als Vertreter der Wissenschaft antwortete ihr Bernhard Emunds, Professor für Christliche Gesellschaftsethik an der Hochschule Sankt Georgen und Leiter des dortigen Oswald von Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik. Unbeschadet des hierarchischen Prinzips in der katholischen Kirche könne auch hier Subsidiarität verwirklicht werden. Orientierung am Prinzip der Subsidiarität bedeute „Vorfahrt für Eigenverantwortung“, unterstrich Emunds. Aufgaben, die eine kleine soziale Einheit gut selbst erfüllen kann, müssten an der Basis verbleiben, Hilfe zur Selbsthilfe müsse bei größeren Aufgaben von oben gewährleistet sein: „Nur so bleibt die Basis lebendig und es werden lebensnähere Entscheidungen getroffen.“
Emunds konstatierte eine „Dominanz der diözesanen Zentralen in der deutschen katholischen Kirche“. Wie ein Komapatient hänge die Basis am Finanztropf der jeweiligen Bistumsleitung. Die Stadtkirche in Frankfurt habe hier sicher Strukturen und Möglichkeiten, die Verantwortung auf unterer Ebene zu stärken und so auch die Kirchorte in den Großpfarreien lebendig zu erhalten.
Neue spirituelle Formen des Segens
Zum Themenkreis „Wege aus dem Reformstau ? Kirche für alle“ beschrieb die Vorsitzende der Stadtversammlung Frankfurter Katholiken, Daniela Marschall-Kehrel, den „starken Wunsch der Basis“, Menschen in gesellschaftlichen und kirchlichen Spannungsverhältnissen, vor allem unverheirateten, gleichgeschlechtlichen und wiederverheiratet geschiedenen Paaren, die nötige Anerkennung zuteilwerden zu lassen. Segensfeiern könnten nach Ansicht des Stadtkirchenforums und des Stadtsynodalrats hier ein Weg sein, dieses Bedürfnis nach einem Segen Gottes zu stillen. Dabei solle, so Marschall-Kehrel, keine Parallele zur sakramentalen Ehe geschaffen werden. Gefragt seien vielmehr kreative neue, vor allem aber spirituelle Formen des Segnens, die dem religiösen Empfinden der Betroffenen Rechnung trügen.
Der Jesuit Michael Schneider, Professor für Dogmatik und Liturgiewissenschaft in Sankt Georgen, unterstrich aus wissenschaftlich-theologischer Sicht, ein Grundanliegen der Liturgiereform sei die Erneuerung von Segnungsfeiern. Im „Benediktionale“, dem liturgischen Buch der Kirche zu Segnungen, sei festgelegt, dass neue Segensfeiern hinzugefügt werden und Laien bestimmte Segnungen vornehmen könnten. Schließlich sei jeder Menschen segensbedürftig. Allerdings müssten Segensfeiern mit dem eucharistischen Grundverständnis der Kirche übereinstimmen.
Missverständnisse vermeiden
Dabei muss nach Auffassung Pater Schneiders allem Nachdenken über Segensfeiern die Überlegung vorangehen, „wie die Kirche grundsätzlich zu den betroffenen Paaren steht“. Grundsätzlich könne kein Einzelner vom Segen ausgeschlossen werden, eine Gleichstellung mit der Ehe sei allerdings von Seiten der Kirche ausgeschlossen. Mit dem Wunsch nach Segnungsfeiern stehe eine „Grundfrage kirchlichen Lebens und Selbstverständnisses zur Debatte“, betonte Schneider. Vielleicht könne man aber „nach Besserem ausschauen“, das nicht zu Missverständnissen führe wie eine eheähnliche Segensfeier.
Im Plenum äußerten sich anschließend Vertreter der Hochschule ebenso wie Laien und betonten, eine Segensfeier könne die mangelnde Anerkennung solcher Lebensformen in der Kirche kaum beschönigen. Sich unsolidarisch mit Menschen in prekären Situationen zu zeigen, sei viel ärgerlicher als das Missverständnis durch eine Segnung. Gerade homosexuelle Paare kämen oft nach der staatlichen Eintragung ihrer Lebenspartnerschaft mit dem tiefen, religiös motivierten Bedürfnis nach dem Segen Gottes. Sie suchten damit einen Ausdruck für ihre Dankbarkeit, für ihr Schutzbedürfnis und für die Versöhnung mit ihrer Kirche und hätten gar nicht den Anspruch, eine kirchliche Partnerschaft im Sinne des Bundes Gottes mit den Menschen und mit seiner Kirche, wie es die Ehe zwischen Mann und Frau symbolisiere, herzustellen. (dw)