Weil Wandel Menschen braucht
Seit 1. Mai 2024 wird die katholische Stadtkirche von einer Doppelspitze geführt. Im Interview berichten Christiane Moser-Eggs und Michael Thurn von ihrer ersten Begegnung, ihrem turbulenten Start und davon, wie die kirchliche Leitung im Team bisher funktioniert.
Frau Moser-Eggs und Herr Thurn, Sie arbeiten seit 1. Mai zusammen, kennen einander aber schon etwas länger. Wie war Ihre erste Begegnung und welchen Eindruck hatten Sie damals von der und dem Anderen?
Christiane Moser-Eggs: Ich habe Michael Thurn kennengelernt bei der Klausurtagung der Stadtkirche 2022. Er wurde mir vorgestellt als Bezirksreferent, als Kopf und Herz hinter der dreitägigen Klausur zum Thema Kommunikation. Ich habe ihn wahrgenommen als koordinierend, strukturierend, begleitend.
Michael Thurn: Vorgestellt wurden wir auf dieser Klausur von Miriam Penkhues, der Leiterin der Villa Gründergeist in Frankfurt. Sie hatte mich im Vorfeld gefragt, ob Christiane Moser-Eggs mitkommen könne, und beschrieb sie als „echt interessante Kollegin, die in die Gruppe passen und zum Thema Kommunikation gute Perspektiven einbringen könne“. Das hat sich bewahrheitet.
Seit dem 1. Mai leiten Sie gemeinsam die Stadtkirche und arbeitet sehr eng zusammen. Wie haben Sie einander seitdem kennengelernt, was schätzen Sie aneinander?
Thurn: Ich schätze an meiner Kollegin, wie sie sich in die vielen neuen Netzwerke, Menschen, Themen unerschrocken hineinwirft und sich dem stellt: mit viel Neugier und viel Lust an der neuen Aufgabe.
Moser-Eggs: Michael Thurn kennt sich sehr gut aus in der Stadtkirche. Er ist sehr kollegial in der Art, Kontakte und Inhalte zu teilen. Ansonsten erlebe ich ihn als offen für neue Impulse und als unternehmungslustigen Gefährten, wenn wir Neuland betreten.
Thurn: Für mich ist es eine große Bereicherung, dass Christiane neue Perspektiven mitbringt und mir so die Möglichkeit gibt, neu und anders auf die Dinge zu schauen. Das ist gut, damit es nicht im Gewohnten bleibt.
Der Abstimmungsbedarf zwischen Ihnen muss enorm sein. Wie häufig am Tag haben Sie Kontakt?
Moser-Eggs: Gerade jetzt am Anfang ist der Abstimmungsbedarf schon groß, momentan sind wir täglich im Austausch. Manchmal gehen die Absprachen ganz schnell, per Kurznachricht, Mail, Anruf. Aber wir setzen uns auch immer wieder zusammen und nehmen uns Zeit, wenn Themen es erfordern.
Thurn: Ständig miteinander im Gespräch zu sein gehört zum Charakter einer Doppelspitze. Und natürlich gibt es am Anfang viel Abstimmungsbedarf, wir als Team müssen uns in unserer Zusammenarbeit finden. Mit der Zeit wird die Arbeitsteilung für uns klarer werden, dann geht sicher auch vieles routinierter.
Moser-Eggs: Wir versuchen schon jetzt, uns gegenseitig zu entlasten, um nicht alles doppelt zu tun. Dazu gehört auch ein gewisses Vertrauen. Die Grundvoraussetzungen stimmen, alles andere findet sich.
Was bedeutet es für Prozesse, wenn Entscheidungen nicht allein durch inneres Abwägen einer Einzelperson, sondern in der gemeinsamen Diskussion als Doppelspitze getroffen werden?
Thurn: Ich finde, dass solche Entscheidungen das Potenzial haben, ausgewogener getroffen zu werden, dass sie eine hohe Qualität haben und besser tragen. Mir kommt das sehr entgegen, weil ich einsame Entscheidungen oft schwierig finde. Die Kehrseite ist, dass sie auch mehr Zeit fordern.
Moser-Eggs: Die andere Perspektive hilft so gut wie immer bei der eigenen Entscheidungsfindung. Manchmal geht’s sogar schneller. Alleine blockiert man sich manchmal und zerdenkt die Dinge.
INFO
Die Katholische Stadtkirche Frankfurt wird seit 1. Mai 2024 von einer Doppelspitze geleitet. Christiane Moser-Eggs, 45 Jahre alt, dreifache Mutter, Kommunikationsfachfrau und Referentin für kirchliche Innovation aus Frankfurt, war zuvor in der Villa Gründergeist tätig, einem in einer alten Westend-Villa angesiedelten Coworkingspace und kirchlichen Innovationszentrum des Bistums, das sich gezielt an Start-Ups richtet, die soziale und nachhaltige Ziele verfolgen. Michael Thurn, 51 Jahre alt, Vater von zwei Kindern, war seit 2013 Bezirksreferent der Stadtkirche. In den vergangenen fünf Jahren führte er die Geschäfte der Stadtkirche und des Stadtsynodalrats und begleitete die Arbeit der Stadtversammlung der Frankfurter Katholik:innen. Thurn ist Theologe und Pastoralreferent.
Gerade zu Beginn sind Sie häufig zu zweit unterwegs, doch inhaltlich werden Sie die Themen untereinander aufteilen. Wer geht zum Beispiel ins Bistumsteam nach Limburg, wer wird wichtige Gremienarbeit vor Ort übernehmen?
Moser-Eggs: Ich werde im Caritas-Rat mitarbeiten und einen engen Kontakt zum Vorstand und dem Verband in Frankfurt pflegen. Außerdem werde ich die Leitung im Gesamtverbandsausschuss vertreten, der Liegenschaften der katholischen Kirche besitzt, verwaltet und mit den Erträgen dazu beiträgt, dass in der Stadtkirche Projekte realisiert werden können. Und ich werde unseren Sitz im Rat der Religionen übernehmen und im Regionenteam des Bistums, in dem sich die Regionenleitungen organisieren.
Thurn: Ich werde Frankfurt im Bistumsteam vertreten, dem höchsten kurialen Gremium, das den Bischof berät und Entscheidungen mittrifft. Außerdem bin ich im Vorstand des Hauses der Volksarbeit. Noch aufteilen müssen wir die Zuständigkeit der Einrichtungen, die künftig zur Stadtkirche gehören werden, voraussichtlich ab dem 1. Juli. Bei all dem sind wir zum Glück nicht allein unterwegs, es gibt noch das Team der Fachstelle, das ebenfalls wichtige Aufgaben in der Stadtkirche übernimmt. Momentan liegt die Leitung dieses Teams schwerpunktmäßig bei mir, bis wir auch hier die endgültige Struktur gefunden haben.
Sie haben es gerade schon angesprochen, auch die Struktur der Stadtkirche ändert sich gerade, einige Einrichtungen in Frankfurt, die vorher zum Ordinariat gehörten, werden künftig zur Stadtkirche gehören. Welche sind das? Und was bedeutet das konkret für die Arbeit dieser Einrichtungen?
Moser-Eggs: Das sind die Villa Gründergeist, das Punctum, Pax&People, das Centre for Dialogue, die Jugendkirche Jona und die katholische Familienbildungsstätte. Fast allen haben wir schon einen Besuch abgestattet und uns vorgestellt.
Thurn: Wir sind künftig unmittelbare Dienstvorgesetzte der Einrichtungsleitungen. Das bedeutet, dass wir in alltäglichen Belangen erste Ansprechpersonen sind, in inhaltlichen Fragen, bei der Personalführung und beim Stellenplan, beim Budget.
Wie viele Mitarbeitende werden Ihnen künftig unterstellt sein?
Thurn: In allen stadtkirchlichen Einrichtungen und der Fachstelle Stadtkirchenarbeit sind es zusammen knapp 40 Mitarbeitende. Dazu kommt noch, dass es laut Bistumsstatut zu unseren Aufgaben gehört, regelmäßige Dienstgespräche mit den Pfarrern der Territorialpfarreien und muttersprachlichen Gemeinden zu führen.
Moser-Eggs: Wir begreifen es als tolle Chance, dass diese sechs Einrichtungen zur Stadtkirche kommen. Kirche findet nicht ausschließlich in Pfarreien und Gemeinden statt, sondern darüber hinaus zum Beispiel an solchen Orten. Sie gehen auf Bedürfnisse in ihrem direkten Umfeld und bei konkreten Zielgruppen ein, begleiten und stiften Gemeinschaft.
Thurn: Wir brauchen in der Stadtkirche Pfarreien und Einrichtungen, um den vielfältigen Menschen eine große Vielfalt anzubieten.
Für Sie beide bedeutet der neue Job viel zusätzliche Verantwortung und jede Menge Termine. Was sagen Ihre Familien denn dazu, dass Sie aktuell mehr unterwegs sind als vorher?
Thurn: Ich glaube, dass meine Familie ebenso gespannt ist wie ich, wie sich das rütteln und entwickeln wird. Und meine Töchter finden es cool, dass ich diese Aufgabe übernommen habe.
Moser-Eggs: Meine Familie ist sehr stolz und sehr unterstützend. Mein Mann ist jetzt in Teilzeit tätig, er schlägt sich wirklich wacker. Die neue Konstellation ändert bei uns gerade viel und es ist schön zu sehen, dass das klappt.
Dass nun zwei Nicht-Priester die Stadtkirche leiten ist das Ergebnis eines langen Transformationsprozesses. Eine Frau, ein Mann, nur einer von beiden ist Theologe – damit wird die Leitung deutlich weniger Priesterorientiert, dafür weiblicher als zuvor. Welche Vorteile bringt dieser neue Mix mit sich – und bei welchen Stadtkirchen-Anlässen wird dennoch ein geweihter Priester vonnöten sein?
Moser-Eggs: Wir sind ja mehr als „keine Priester“. Wir bringen eigene Persönlichkeit, eigene Geschichten ein, die unsere Leitung prägen. Als Frau in solch einer kirchlichen Führungsposition schaffe ich hoffentlich Sichtbarkeit und stehe dafür, dass Wandel Menschen braucht. Die wesentlichste Neuerung ist der Umstand, dass wir durch eine Wahl ins Amt gekommen sind, das legitimiert in hohem Maße.
Thurn: Durch unsere Profile, unsere unterschiedlichen Hintergründe und Netzwerke eröffnet sich eine breite Schnittstelle, über die Menschen mit uns in Kontakt treten können. Dennoch habe ich auch den Anspruch an die neue Funktion, dass sie ein geistliches Amt ist. Denn natürlich gehört es dazu, mit den Menschen zusammen, in der Stadtkirche und Stadtgesellschaft, auf Gottsuche zu sein. Und wir werden selbstverständlich eng mit den Frankfurter Priestern zusammenarbeiten – nicht nur bei den stadtkirchlichen Anlässen, die an Eucharistiefeiern gebunden sind. Natürlich wird Johannes zu Eltz, Dompfarrer und bisheriger Stadtdekan, auch künftig eine wichtige Rolle als zentrale Figur in der wichtigsten Kirche der Stadt, dem Dom, spielen.
Apropos Priester: Wie ist Ihr Kontakt zum Ex-Stadtdekan? Haben Sie ihn im ersten Monat schon um Rat gefragt?
Moser-Eggs: Natürlich. Wir haben ihn schon mehrfach zum Austausch getroffen, tauschen Mails und Nachrichten. Das ist keine Einbahnstraße, wir können gut in beide Richtungen miteinander sprechen.
Thurn: Wir stehen in sehr engem Kontakt miteinander – auch deshalb, weil gerade in der Übergangszeit manchmal auch Zuständigkeiten geklärt werden müssen. Johannes zu Eltz ist da wie gewohnt schnell, klar, unprätentiös. Und ein unersetzlicher Ratgeber.
Sie haben gleich zu Beginn einige Themen auf dem Tisch, zu denen Sie sich positionieren wollen, zum Beispiel die Europawahl und eine Demo gegen Rechts, zu der das Römerbergbündnis aufgerufen hat. In Frankfurt ist die Arbeit der katholischen Kirche von jeher sehr politisch und stadtgesellschaftlich geprägt. Was sind Themen, die Sie aktuell beschäftigen?
Thurn: Ein Grundsatzthema ist die Anfrage an unsere freiheitlich demokratische Grundordnung, das wird uns auch noch länger beschäftigen. In Frankfurt spielen alle gesellschaftlichen Themen eine Rolle: Klimaschutz, die Zusammenarbeit verschiedener Religionen, die Frage, wie man als plurale, liberale Gesellschaft miteinander leben kann. Die Konflikte, die wir in der Gesellschaft erleben, beschäftigen uns natürlich auch innerkirchlich.
Moser-Eggs: Einer unserer ersten Besuche galt dem evangelischen Stadtdekan Holger Kamlah, denn natürlich ist es unser Wunsch, an die sehr gute ökumenische Zusammenarbeit anzuknüpfen. Gemeinsame Themen sind Immobilien und Kirchorte, die sich verändern. Gemeinsam tragen wir auch christliche Anliegen in die Stadtgesellschaft, aber auch in die Stadtverwaltung und möchten den Dialog zu anderen Glaubensfamilien fördern. Dafür ist der Rat der Religionen enorm wichtig.
Thurn: Ökumene wird künftig eine noch größere Bedeutung haben. Als eine gemeinsame christliche Stimme in Frankfurt wahrgenommen zu werden ist für beide Kirchen wichtig, weil die Mehrheitsverhältnisse sich verschieben und wir als Christ:innen nur noch weniger als die Hälfte der Stadtbevölkerung stellen. Eine christliche Stimme tut der Stadtgesellschaft weiterhin gut, sie ist unverzichtbar. Und sie wird nachgefragt, das spüren wir schon nach wenigen Tagen im Amt.
Die Wahl der neuen Doppelspitze lief in Frankfurt ohne Probleme, Ihr Übergang konnte nahezu reibungslos organisiert werden. Das liegt auch daran, dass die neue Region Frankfurt mehr oder weniger der bisherigen Stadtkirche entspricht und das Profil klar ist, während die vier anderen Regionen des Bistums neu zugeschnitten wurden und sich erst einmal finden müssen. Dort gibt es ein paar Startschwierigkeiten, mitunter fehlen Bewerber:innen. Warum kann es attraktiv sein, sich auf die Position der Regionenleitung zu bewerben?
Thurn: In Frankfurt hat es auch deshalb so gut funktioniert, weil wir einen herausragend engagierten Stadtsynodalratsvorstand haben, allen voran die Vorsitzende Marianne Brandt, der Bewerbungsphase und Wahl sehr professionell betreut hat. Warum man sich auf Leitung bewerben sollte? Wer Kirche gestalten will, muss sich an Stellen engagieren und sich auf Stellen bewerben, an denen man das kann. Was wir hier im Bistum tun ist einzigartig und neu. Wer aktiv gestalten möchte, ist gut beraten, sich zu bewerben.
Moser-Eggs: Vielleicht sind wir als Katholik:innen noch nicht geübt, selbst in die Verantwortung zu gehen, zumindest in größeren Bereichen und Einheiten. Solche Leitung wurde ja früher immer von Priestern wahrgenommen. Ich finde es wichtig, dass Menschen sich gegenseitig Charismen und Kompetenzen aufzeigen, von denen man vielleicht selbst gar nicht weiß, dass man sie hat. Durch eine solche Ermutigung traut man sich dann, etwas zu riskieren und sich zu bewerben. Mir hat auch die Aussicht auf die Arbeit in einer Doppelspitze Zuversicht und Sicherheit gegeben, es zu versuchen.
In der Stadtkirche ist derzeit viel in Bewegung, Neues entsteht, für Interessierte gibt es berufliche Möglichkeiten. Wo kann man sich bewerben?
Thurn: Auf jeden Fall lohnt ein Blick auf die Stellenbörse des Bistums unter https://stellenboerse.bistumlimburg.de. Wer möchte, kann auch den Newsletter der Stadtkirche auf www.frankfurt-katholisch.de abonnieren, dort sind ebenfalls aktuelle Stellenanzeigen zu finden.