Ideen-Slam in der WG-Küche
Wer in der Villa Gründergeist einen Arbeitsplatz bucht, bekommt mehr als nur einen aus Holzblöcken gestapelten Schreibtisch. Die Co-Worker nennen sich gegenseitig „Mitbewohner“, das Café gleicht einer WG-Küche, in der vor der Pandemie auch gerne mal zusammen gekocht wurde. Und in den Büros steht neben Schreibtischstuhl und Topfpflanze auch das eine oder andere abgeranzte Sofa.
Im Eingangsbereich der imposanten Gründerzeitvilla im Frankfurter Westend zeigt ein Schiebebrett an, wer gerade da ist und wer nicht. Momentan, mitten im Lockdown, sind das nur wenige. „Aber wir haben es geschafft, mit einem guten Hygienekonzept trotzdem offen zu bleiben“, sagt David Schulke, Leiter der Villa Gründergeist.
Jeden Tag eine interessante Person treffen
Seit 2019 heißt der vom Bistum getragene Co-Working-Space alle willkommen, die keine Lust haben, allein daheim zu arbeiten. Denn das ist der Sinn der gemeinsam genutzten Büros, von denen es mittlerweile mehrere von verschiedenen Anbietern in Frankfurt gibt: sich begegnen, sich gegenseitig bei einem kurzen Gespräch in der Kaffeeküche auf neue Ideen bringen, Impulse und Perspektiven austauschen. „Unser Anspruch ist es, dass man hier jeden Tag eine interessante Person treffen kann“, erklärt Patrick Mijnals, zuständig für das Community- und Innovationsmanagement.
Auf 600 Quadratmetern bietet die Villa Gründergeist Mehr-Personen-Büros, Einzelbüros, Veranstaltungs- und Besprechungsräume. Doch anders als viele andere Shared-Office-Spaces, die im modernen Industrie-Style daher kommen, trägt das gut 100 Jahre alte Haus mit seinem ganz eigenen, würdevollen Charakter zur Unverwechselbarkeit des Projekts bei. Hinter jeder Tür verbirgt sich ein anders geschnittener Raum, mal großzügig, mal winzig, mal ausgestattet mit verschnörkelten Jugendstil-Heizkörpern oder mit Zugang zu einem kleinen Wintergarten. Die hell gestrichene Treppe führt drei Etagen nach oben bis unters Dach, die Dielen knarzen bei jedem Schritt.
Co-Worker aus Überzeugung
Die Villa Gründergeist ist Nachfolger des Hauses der Begegnung, das lange eine feste Größe im Westend mit seinen Angeboten aus den Bereichen Bildung, Beratung und Kunst war. „Kunst und Kultur sind für die Villa nach wie vor wesentlich“, erklärt Vivien van Deventer, die den Arbeitsbereich weiterentwickelt hat. Heute frage man aber eher die Künstler: „Welches Thema willst du in die Villa bringen, welche kreative Herangehensweise mit der Community teilen?“
Dieser Geist von Wachstum, Kreativität und Veränderung ist daher noch immer deutlich zu spüren. Das gefällt den Co-Workern. So wie Benjamin Pahlich, Projektkoordinator bei den SOS Kinderdörfern Weltweit, der jeden Tag zum Arbeiten in die Villa kommt. „Ich bin seit Sommer 2020 hier und finde, die Villa ist ein echter Glücksfall“, sagt er. Pahlich ist Co-Worker aus Überzeugung, er mag den Trubel eines normalen Büroalltags und gemeinsame Mittagspausen mit Kolleginnen und Kollegen. Und auch das Familienleben lässt sich besser strukturieren, wenn Arbeit Arbeit ist – und woanders stattfindet. Welche Bedeutung hat es für ihn, dass das Bistum Träger der Villa ist? „Ich bin in einer katholischen Familie aufgewachsen und habe keine Berührungsängste. Und genauso finde ich es gut, dass die Kirche keine Berührungsängste hat.“
Ein Kreuz über dem Notausgang-Schild
Im Eingangsbereich hängt ein kleines Kreuz über dem Notausgang-Schild. Doch ansonsten ist der katholische Hintergrund vor allem inhaltlicher Natur: „Er findet sich in der Grundperspektive auf die Welt, im positiven, ermutigenden Menschenbild“, sagt David Schulke. Und er schlägt sich in der Zusammenstellung der Unternehmen und Projekte nieder, die sich in der Villa angesiedelt haben. Denn Schulke und sein Team wollten nicht irgendwelche Wirtschaftsakteure, auch wenn es aus diesem Feld durchaus Interesse an einem Büro in der herrschaftlichen alten Villa gegeben hätte. Stattdessen hat man sich für die Zielgruppe der sogenannten Social Entrepreneurs entschieden, also Gründer, deren Geschäftsidee eine soziale Ausrichtung hat. „Als wir uns gefragt haben, welche Art von Unternehmen wir hier haben möchten, haben wir recht schnell begriffen: Wenn wir sie unterstützen, fördern wir das Gute in der Welt“, nennt David Schulke den christlichen Grundgedanken.
Zwei Ankermieter, das Social Impact Lab und das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND), sind mittlerweile auch inhaltliche Partner geworden. Weitere Unternehmen sind zum Beispiel HeartBeatBus, ein mobiles Ton- und Fernsehstudio, das Hip-Hop-Kurse für mehr Demokratie und Toleranz anbietet, sowie Happy2Learn, ein kleines Team von Karriereberatern, die den Fokus auf den Berufungsgedanken legen. Dazu passt, dass auch das Team der Berufungspastoral im Bistum hier seine Zelte aufgeschlagen hat. „Olaf Lindenberg und Steffie Matulla haben ihre Schreibtische im Co-Working-Space, sie gehörten mit zu den Ersten, die hierher zum Arbeiten kamen“, berichtet Schulke. Und auch das Team der Kirchenentwicklung hat einen Schreibtisch in der Villa Gründergeist, der von verschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern genutzt wird. Auch inhaltlich gibt es hier Anknüpfungspunkte: Die Erfahrungswerte der ersten rund eineinhalb Jahre sollen für kirchenentwicklerische Prozesse nutzbar gemacht werden. „Wir alle sind herausgefordert, der Frage nachzugehen: Für wen sind wir als Kirche zukünftig da?“, fasst Schulke diesen Entwicklungsschritt zusammen.
Glücklich übers Grundrauschen
25 Personen haben aktuell einen Arbeitsplatz gebucht, allerdings sind wegen der Pandemie selten mehr als eine Handvoll gleichzeitig im Büro. Das Team, zu dem auch Gisela Kolb für das Front- und Backoffice gehört, ist glücklich darüber, dass wenigstens ein gewisses Grundrauschen herrscht. Im ersten Lockdown musste die Villa nämlich für ganze acht Wochen schließen – und das, nachdem man seit der Eröffnung im Herbst 2019 auf stetigem Wachstumskurs war. „In dieser Zeit haben wir uns natürlich gesorgt, ob die Menschen überhaupt wiederkommen werden, ob wir genug Mehrwert bieten – oder ob unsere Co-Worker künftig einfach von daheim aus arbeiten werden“, erzählt David Schulke. Denn das Homeoffice könnte durchaus als der natürliche Feind des Co-Working-Spaces begriffen werden. Doch als die Villa wieder öffnen konnte, habe sich diese Sorge schnell als unbegründet herausgestellt. „Wir haben gespürt, dass die Leute eine große Sehnsucht danach hatten, wiederzukommen“, sagt der Leiter. Doch zugleich macht er sich wenig Illusionen, dass alle zurückkommen werden: „Das eine oder andere soziale Start-Up wird die Pandemie wohl nicht überleben, weil die Jungunternehmer sich feste Jobs suchen mussten, um über die Runden zu kommen.“
Schulke und sein Team blicken trotzdem oder gerade deswegen voller Hoffnung in die Zukunft. Schon jetzt freut der Leiter sich darauf, wenn im großen Saal wieder Workshops, Lesungen, Vernissagen, Talks und vieles mehr stattfinden können. Und wenn die Villa wieder brummt vor Geschäftigkeit.
Info: Wer zum Team der Villa Gründergeist Kontakt aufnehmen möchte, kann dies über die Website www.villa-gruendergeist.de tun – oder über Facebook und Twitter. Auf der Webseite gibt es zudem die Möglichkeit, einen Newsletter zu abonnieren.
Hinweis: Der vorliegende Text ist in der aktuellen Ausgabe des NETZ-Magazins des Bistums Limburg erschienen. Das E-Paper ist online hier zu finden.