Erdbeben in Syrien: So halfen die Spenden aus Frankfurt
Gerald Baumgartner erzählt aus Syrien
Zwei Jahre lebte und arbeitete Jesuiten-Frater Gerald Baumgartner im vom Krieg und Erdbeben zerstörten Syrien. Am Dienstag 14. November, 18.30 Uhr, berichtet er bei einer Veranstaltung mit dem Titel „„Das hat mein Leben gewaltig auf den Kopf gestellt“ in der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen (Offenbacher Landstraße 224) von seinen Eindrücken aus der Friedensarbeit nach dem Krieg in Syrien, erzählt von christlicher und interreligiöser Zusammenleben in Homs und gibt Informationen über das Engagement im Jesuitenflüchtlingsdienst und die Koordination der Erdbebenhilfe. Der Eintritt ist frei. Bei dem Vortragsabend handelt es sich um eine Veranstaltung des Stiftungslehrstuhls „Katholische Theologie im Angesicht des Islam“, PTH Sankt Georgen in Kooperation mit der Stadtkirche Frankfurt. Rückfragen an: Tobias Specker SJ, Stiftungsprofessor in Sankt Georgen, specker@ sankt-georgen .de.
Am Sonntag, 12. November, predigt er außerdem um 10.30 Uhr in St. Ignatius, Gärtnerweg 60, Frankfurt.
Nach dem verheerenden Erdbeben im Februar 2023 spendeten Frankfurter Katholikinnen und Katholiken fast 100.000 Euro für die Betroffenen in Syrien. Jesuit Frater Gerald Baumgartner war nach der Katastrophe als humanitärer Helfer des Jesuitenflüchtlingsdienstes vor Ort und erzählt im Interview, wie das Geld aus Frankfurt konkret geholfen hat. Am Dienstag 14. November, 18.30 Uhr, berichtet er außerdem in der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, Offenbacher Landstraße 224, von seinen Erfahrungen in Syrien (siehe Info-Box rechts).
99.037,85 Euro – diese Summe haben Frankfurter Katholikinnen und Katholiken nach einem Aufruf der Stadtkirche im März 2023 für die Hilfsarbeit des Jesuitenflüchtlingsdienstes in Syrien gespendet. Wie wurde das Geld in dem von Krieg und Erdbeben zerstörten Land konkret eingesetzt?
GERALD BAUMGARTNER: Zuerst einmal möchte ich mich herzlich bei den Frankfurter Katholikinnen und Katholiken bedanken. Das Geld ist vollständig dem Jesuitenflüchtlingsdienst zugekommen, für den auch ich gearbeitet habe. In der akuten Anfangsphase nach dem Erdbeben haben wir vor allem für die Grundversorgung von über 7.800 Familien gesorgt. Das hat Essenspakete, Hygienepakete, einfache medizinische Grundversorgung in unserer Klinik in Aleppo, Kleidung und auch psychologische Erste Hilfe beinhaltet. Nach der relativen Stabilisierung der Situation ging es in einer zweiten Phase dann darum, die vom Erdbeben am stärksten betroffenen Menschen auch längerfristig mit psychosozialen Hilfeleistungen zu unterstützen. Konkret bedeutet das, dass in Sozialarbeit geschulte Teams beratend Familien begleiten und unterstützen, damit sie wieder ins Leben zurückfinden können. Viele Menschen haben materiell alles verloren und mussten flüchten, ein noch größerer Anteil leidet jedoch seit dem Erdbeben unter psychischen Folgeerkrankungen. Im Sinne eines ganzheitlichen und nachhaltigen Ansatzes nehmen wir weiterhin Verantwortung für diese Familien wahr, damit sie sich in weiterer Folge wieder ganz selbst versorgen können.
Sie haben drei Jahre als Jesuit in Syrien gelebt und gearbeitet. Wie ist die Situation derzeit dort, mehr als sieben Monate nach dem Erdbeben?
Seit dem Beginn der Kampfhandlungen vor über zehn Jahren brach über die Menschen in Syrien eine Katastrophe nach der anderen herein: Jahre des Kriegs, in vielen Fällen Flucht, in weiterer Folge – und besonders seit 2019 – eine weitreichende wirtschaftliche und soziale Krise, die Pandemie und dann jetzt noch das Erdbeben. Schon bevor die Erde am 6. Februar gebebt hat, haben die Menschen schon gefroren und gehungert. Schon vorher gab es Mangel an Treibstoffen, Strom, teilweise Wasser und Engpässe in der Nahrungsversorgung. Das Erdbeben hat uns unvorbereitet getroffen, die Plötzlichkeit des Eintretens und das Gefühl des Ausgeliefertseins hat bei vielen Menschen ein ganz elementares Sicherheitsgefühl noch einmal nachträglich erschüttert. Umso mehr beeindruckt mich aber der Lebenswille und die immense Hilfsbereitschaft der Syrer untereinander. Der tiefe Glaube der syrischen Christen, zu denen ich eigentlich als Seelsorger gesandt war, gibt mir selbst auch Hoffnung und Inspiration, wie wir als Christen wirklich Sauerteig des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe in unserem je eigenen Kontext sein können.
Die Betroffenheit ist sehr abhängig von neuen Nachrichten, aktuell schaut die Welt auf den Nahen Osten und das Leid der Menschen dort. Was bedeutet das für Gebiete wie Syrien, die nach jahrelangem Krieg und dem Erdbeben einen anhaltenden Hilfsbedarf haben?
Die Bilder der Grausamkeit und Sinnlosigkeit aktiver Kampfhandlungen und Naturkatastrophen haben oft starke Auswirkungen auf unser Gefühlsleben; das ist, glaube ich, gut, denn dieses Gefühl ist etwas Grundmenschliches in uns, das uns sagt: „So etwas darf es nicht geben. Tu etwas dagegen.“ Ganz grob gesagt handeln wir dann oft nach diesem Impuls; manchmal destruktiv im Weitergeben blinder Aggression, manchmal konstruktiv im Suchen nach Verständnis oder tätig im Ehrenamt oder beim Spenden. Leider gibt es auf unserer Welt aber auch viele „stille“ humanitäre Katastrophen, wie sie gerade in Syrien stattfindet. Für eine wirklich nachhaltige Veränderung der Welt zu mehr Frieden und Gerechtigkeit müssen wir uns dieser Gebiete, die leider oft vernachlässigt werden, auch annehmen. Ich danke Gott jeden Tag für die Spender und die Angestellten der vielen staatlichen, nicht-staatlichen und kirchlichen Organisationen, die in ihren Programmen und Projekten genau diese Veränderung zu mehr Frieden und Gerechtigkeit in der Welt konkret angehen. Es geschieht viel Gutes, es darf aber auch noch mehr werden!