Ein tastendes Suchen
Clemens Weißenberger und Steffi Elbe von der Pfarrei St. Franziskus zünden ein Licht an – im wörtlichen und übertragenen Sinne. Denn der Pastoralreferent und das ehrenamtlich in der Pfarrei engagierte Gemeindemitglied machen sich stark dafür, über Missbrauch zu sprechen – im kirchlichen Kontext, in der Familie, im Sportverein.
Am vergangenen Wochenende wurde an allen sechs Kirchorten der Pfarrei je ein Gottesdienst gefeiert, der Missbrauch thematisierte und den Raum für Gespräche öffnete. Ein leuchtendes Signal sollten sie sein, ein Zeichen an alle, die Missbrauch erlebt haben – selbst, wenn diese (noch) nicht darüber sprechen wollen oder können. In den Gottesdiensten verlasen Weißenberger und Elbe einen Text, in dem es unter anderem hieß: „Mit dem Gottesdienst soll für diese Gemeinde klare Position gezeigt werden: Kirche muss ein Ort der Gewalt- und der Machtfreiheit sein. Uns muss es um Stellungnahme gehen: Wir wollen Betroffene zu Wort kommen lassen und ihrem Leid Raum geben. Was aber wiegt schwerer: Über den Missbrauch zu reden oder festzustellen, dass er Alltag ist? Es braucht einen Raum, wo Gewalt endet und das Leid der Betroffenen aufgehoben ist. Wir wollen hinhören und somit den Betroffenen eine Stimme geben.“
Einladung zu Gesprächen angenommen
Es habe eine ernste und gespannte Aufmerksamkeit in den Kirchen geherrscht, berichten Clemens Weißenberger und Steffi Elbe. Danach seien Menschen zu ihnen gekommen und hätten von ihren eigenen Erlebnissen erzählt. Auch habe es aus der Gemeinde viel Lob dafür gegeben, dass das schwere Thema so klar benannt worden sei.
Am Montagabend gab es im Gemeindezentrum des Kirchorts Allerheiligste Dreifaltigkeit am Frankfurter Berg zusätzlich die Möglichkeit, sich auszutauschen. Dabei gab es kein vorgefertigtes Konzept für den Abend, sondern einfach viel freien Raum, um über das zu sprechen, was belastete. Dazu lasen Weißenberger und Elbe Berichte von Missbrauchsbetroffenen aus Dokumenten der Deutschen Bischofskonferenz vor. Dr. Lisa Straßberger, Studienleiterin an der Katholischen Akademie, war eine der Teilnehmerinnen und forderte: „Immer mehr Menschen wenden sich von der Kirche ab. Wir als Katholikinnen und Katholiken müssen offen über den Missbrauch sprechen, denn daran werden wir als Kirche gemessen!“
Jeder siebte bis achte Erwachsene betroffen
Dagmar Gerhards, Fachkraft für Kommunikation im MHG-Projekt „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“, in dem auch Lisa Straßberger mitarbeitet, verwies darauf, dass aufgrund der statistischen Zahlen in fast jeder Gruppe Menschen säßen, die sexualisierte Gewalt erlebt hätten. Deshalb sei eine sensible Sprache immer eine gute Idee. Wie hoch die Dunkelziffer der Betroffenen ist, geht auch aus einem Bericht des unabhängigen Bundesbeauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs von 2020 hervor. Dort heißt es: „Dunkelfeldforschungen aus den vergangenen Jahren haben ergeben, dass jede*r siebte bis achte Erwachsene in Deutschland sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten hat. Es ist davon auszugehen, dass etwa ein bis zwei Schüler*innen in jeder Schulklasse von sexueller Gewalt betroffen waren/sind.“
Gerhards hat im Bistum bereits interne Workshops zur Überwindung der Sprachlosigkeit angeboten und wird als nächstes Menschen in den Pfarreien in sprachsensibler Kommunikation schulen. Das ist wichtig, falls diese von jemandem angesprochen werden, der oder die Missbrauch erlebt hat. Sigrid Langener aus dem Pfarrgemeinderat, die dank des 2020 verabschiedeten Schutzkonzepts als ehrenamtliche Kontaktperson für ebensolche Fälle in der Pfarrei fungiert, begrüßte dies ausdrücklich. Steffi Elbe sprach sich dafür aus, eine Kultur auch der eigenen Verletzlichkeit zu etablieren – und so auf einer tieferen Ebene anzuerkennen, dass Betroffene von Missbrauch selbst keine Schuld an dem Erlittenen trifft.
Sprache, das wurde beim Austausch deutlich, ist das wesentliche Element, um voran zu kommen im Bestreben, mehr Transparenz zu schaffen. Den Zustand der Kirche, auch wenn es schmerzhaft ist, beim Namen zu nennen, Betroffene zu stärken und ihnen den Mut zu geben, über erlittenes Unrecht zu sprechen, dies liebevoll anzunehmen, darauf zu achten, nach innen und außen sensibel zu sein – all das kann dazu beitragen, ein Klima zu schaffen, in dem offen gesprochen und geduldig zugehört wird. Oder einfach öfter mal sonntags eine Fürbitte zum Thema vortragen? Möglichkeiten gibt es viele, auch über einzelne Themengottesdienste hinaus zu signalisieren: Wir möchten zuhören!
Nicht über, sondern mit Betroffenen sprechen
Die erschütternden Inhalte der Gutachten zu Missbrauch, im Januar aus München und zuletzt aus Münster, hatten das Pastoralteam und den Pfarrgemeinderat dazu veranlasst, in der eigenen Pfarrei darüber sprechen zu wollen. Das Anliegen: Die Strukturen des Vertuschens aufzubrechen, ins Wort zu bringen. Über den Newsletter der Pfarrei startete man daher Anfang des Jahres einen Aufruf. Clemens Weißenberger, der sich des Themas annahm, fand in Steffi Elbe und Matthias Proske zwei Interessierte für die Vorbereitungsgruppe. Bald wurde den Dreien klar: Es sollte nicht wieder über Betroffene gesprochen werden, wie es so oft der Fall ist. Stattdessen wollten sie lieber ermutigen und zuhören, falls jemand die eigene Geschichte erzählen wolle. Für die Planung der Gottesdienste gab Pfarrer Hans Mayer den Impuls, die Tagestexte mit zahlreichen Anknüpfungspunkten zum Thema zu wählen, und so wurde aus dem Gottesdienst-Format eine runde Sache – zusammen mit dem Bitten: „Gewalt darf die Welt nicht regieren. Kyrie Eleison. Jesus hat Gewalt durch Liebe Einhalt geboten Christe Eleison. Sein Kreuz zeigt den Weg zur Erlösung. Kyrie Eleison.“
Lisa Straßberger sagte, sie finde es anrührend, dass Menschen sich zusammensetzten und Veranstaltungen wie diese vorbereiten, zeige das doch den aktiven Willen zur Offenheit. Weißenberger und Elbe betonten, natürlich könne es keine einfachen Antworten auf Fragen des Missbrauchs gebe. „Uns war aber klar, dass ein tastendes Suchen besser ist als nichts“, sagten sie. Daraus könne man nun lernen und sich überlegen, wie es mit der thematischen Bearbeitung des Themas in der Pfarrei weitergehen solle. Denkbar sind weitere Veranstaltungen zum Umgang mit den Gutachten und ihrer Relevanz sowie ein Abend zu bibeltheologischer Einordnung.
Wer Interesse hat, sich mit Pastoralreferent Clemens Weißenberger dazu auszutauschen, erreicht ihn unter Telefon 069 9511 679 81 oder per Mail an c.weissenberger@ franziskus-frankfurt .de.