FRANKFURT, 07.05.2019
Ein Paar, das um Europa kämpft
Europa aus persönlicher Sicht unter die Lupe genommen: Am Montag, 5. Mai, ist das deutsch-italienische Ehepaar Chiara Zilioli und Andreas Fabritius beim Aktuellen Forum des Frankfurter Domkreises Kirche und Wissenschaft im Haus am Dom zu Gast gewesen. Mit der Moderatorin Britta Baas (Publik Forum) diskutiert Chiara Zilioli, Chefjustiziarin der Europäischen Zentralbank in Frankfurt, und Andreas Fabritius, Partner einer großen internationalen Kanzlei und britischer Honorarkonsul in Frankfurt, aus wirtschaftlicher, politischer, juristischer und vor allem persönlicher Sicht über die Chancen und Schwächen Europas.
„Europa ist nicht am Ende. Ich sehe da keine Krise. Diejenigen, die derzeit unzufrieden sind, sind einfach nur lauter als die, die zufrieden sind.“
Europas unbewusste Stärke
Das Ehepaar gab sich optimistisch. Fabritius sehe die Europawahl nicht als Schicksalswahl, denn für ihn stehe Europa nicht am Ende, dafür sei Europa viel zu stark. Allein auf der wirtschaftlichen Ebene sähen andere Länder wie China die europäische Staatengemeinschaft als einen Markt an. „Sie sehen Europa als etwas, was eindeutig zusammen ist und zusammen gehört“, sagte der Jurist Fabritius. Auch seine italienische Ehefrau betonte, dass Europa viel stärker sei, als es vielen bewusst sei. Der Staatenbund aus 28 Mitgliedern sei ein Raum für Schutz und bewahre sich als ein großer Rechtsstaat (europäische) Grundrechte, von denen zahlreiche Länder auf der Welt weit entfernt seien. Durch ihre beruflichen Erfahrungen im asiatischen Raum siehe Chiara Zilioli die Gemeinsamkeiten der Europäer. Nach außen hin wirke Europa auf anderen Ländern politisch und wirtschaftlich stark und einheitlich. Sorgen mache sie sich derzeit eher um das Innenleben Europas, das durch Populisten in den vergangenen Jahren immer mehr gespalten worden sei.
„Die Kirchen haben auch heute noch eine sehr relevante Rolle.“
Die Stellung der Kirche in Europa
Gegen Spaltung setzt sich auch die Kirche ein. Der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz sprach sich beispielsweise am Sonntag, 5. Mai, auf einer Demonstration gegen Spaltung aus und plädierte für Zusammenhalt. Zilioli schätzt an der Kirche, dass sie die europäischen Werte und Grundrechte schütze. Auch mit Blick auf die Entstehungsgeschichte Europas sei dabei die christliche und europäische Entwicklung aufgrund der Christianisierung Europas nicht zu trennen. Andreas Fabritius erachtet die Stellung der Kirche weiterhin als sehr wichtig, auch wenn ihre Position in der Gesellschaft nicht mehr so ist wie vor 200 bis 300 Jahren. „Sie sind nur ein Teil des politischen Konzertes, aber ein nach wie vor sehr wichtiger Teil“, sagte Fabritius. Es sei selbstverständlich, dass die evangelische und katholische Kirche einen relevanten Platz in Europa habe.
Sprache verbindet
Trotz kultureller Unterschiede betont Fabritius, dass alle europäischen Länder von der gleichen Philosophie und den gleichen Geistesströmungen geprägt und beeinflusst worden seien. Daher sehe er in Europa mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Verbindend seien auch die europäischen Sprachen, von denen viele ihre Wurzeln im Lateinischen haben. Fabritius plädiert dafür, dass Menschen aus allen Bildungsschichten Sprachen gelehrt bekommen sollten, denn Sprache verbinde. Ohne Italienisch könne er heute auch seine Ehe nicht führen und vier gemeinsame Kinder zusammen erziehen.
„Die Leute, die gegen Europa sind, sprechen viel lauter als die Menschen, die für Europa sind. Die müssten lauter sein.“
Forderung nach Marketing und europäischer Presse
Dass die Stärke Europas unterschätzt werde, liege wohl auch an mangelndem Marketing für Europa. Zilioli schlug vor, die Vorteile Europas, wie etwa EU-weites und kostenloses Daten-Roaming, Reisen ohne Visum, Austauschprogramme oder die gemeinsame Währungszone mehr in den Vordergrund zu stellen. Das Brexit-Referendum, bei dem die Wahlbeteiligung junger Menschen unterdurchschnittlich war, demonstriere, wie wichtig es sei, junge Menschen zu erreichen, merkte Zilioli an. Dies könne vor allem über soziale Netzwerke geschehen und Vorwürfe zurückweisen sowie Unwägbarkeiten klären. Die ersten sechs Mitglieder der europäischen Union hätten sich nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern aus einer Vision europäischer Gemeinschaft heraus vereint. Diese Vision dürfe nicht verloren gehen, weshalb das Ehepaar Bürgerbewegungen wie Pulse of Europe für befürworten. Dabei merke Chiara Zilioli, dass es die europäischen Bürger noch gebe. Im Gespräch mit dem Publikum unterstützte das Ehepaar die Idee, nicht nur das Marketing Europas zu verbessern, sondern auch eine europäische, einheitliche Presse zu fordern. Eine Zeitung oder ein Fernsehsender, der europaweit die gleichen Informationen publiziere, könne Europa noch mehr zusammenbringen.
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Chiara Zilioli ist Chefjustiziarin bei der EZB und gilt als Wächterin der Unabhängigkeit der Notenbank. Ihre Karriere begann sie beim juristischen Dienst des Europäischen Rats. 1995 wechselte sie nach Frankfurt zum Europäischen Währungsinstitut, dem EZB-Vorgänger. Sie und ihr Mann engagieren sich auch in der Frankfurter Stadtgesellschaft, so gehören sie dem Städelkomitee an, das den Ankauf zeitgenössischer Kunst für die Stadt fördert.
Andreas Fabritius ist seit 1991 Partner der Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Er berät in- und ausländische Unternehmen, Banken und Finanzinvestoren sowie Regierungsstellen in juristischen und wirtschaftlichen Fragen. Außerdem ist er Britischer Honorarkonsul für Hessen.