Ein kollektives Vergeben
Im Gras steht eine hohe, graue Vase, aus der Rauch aufsteigt. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass an der Vorderseite ein großes Stück herausgebrochen ist. Jörg Heuser hat sie mit weißer Folie ausgekleidet, mit Sand befüllt und Teelichter hinein gestellt. Beim Sommerfest in der Kirche im Grünen lädt er die Besucherinnen und Besucher ein, vorzutreten, ein kleines Stückchen Weihrauch auf die Flammen zu legen und symbolisch alles, was sie belastet, in Rauch aufgehen zu lassen.
„Das Gefäß taugt nicht mehr als Vase – aber noch sehr gut zum Räuchern“, sagt Heuser, der mit seinem Projekt Ankerplatz-ffm den Bereich Kirche in der Arbeitswelt bearbeitet. Bei seinem Sommerfest, zu dem am Freitagabend gut 50 Interessierte in die Kirche im Grünen in Höchst kommen und zu dem er in Kooperation mit der Pfarrei St. Margareta eingeladen hat, geht es um Brüche. Die Vase verkörpert dabei das, was viele Menschen im Lauf ihres Lebens erfahren: Ein Projekt geht schief, ein Unternehmen scheitert, man wird entlassen, verlassen, scheitert. In einer Welt der am besten makellosen Lebensläufe kann das nicht nur schmerzen, sondern auch sehr stressen. Deshalb hat Heuser sein Sommerfest diesmal den sogenannten „Fuck-Up-Storys“ gewidmet. Einen Abend lang wird mal nur darüber gesprochen, was im Job schief gelaufen ist. Selbstbewusst, humorvoll, ohne Angst – denn gemeinsames Lachen über gemachte Fehler hilft und heilt.
Vier abgefuckte Geschichten
Zwei Rednerinnen und zwei Redner berichten auf einer Bühne mit rotem Teppich von ihren Erfahrungen mit dem Scheitern. Einer hat ein Unternehmen krachend in den Sand gesetzt und viel Geld verloren, ein anderer wurde vom Chef übergangen, das Projekt eher dem Kollegen zugetraut. Eine Frau berichtet davon, wie sie viel Budget für unbrauchbare Werbematerialien ausgab, eine andere, wie ihr Verein den Antrag auf Förderung zu früh stellte und dadurch die zugesagten Gelder verlor. Dazwischen gibt es humorvolle Musik vom Band, die das Thema aufgreift.
Es ist ein Seelen-Striptease, zu dem Mut gehört. Doch die Gruppe fängt die Rednerinnen und Redner auf, macht ihnen Mut, ordnet ein. Aus dem Makel wird ein kollektives Vergeben. Und das tut gut, denn bei den Geschichten wird klar: Das Erlebte sitzt noch tief, auch Jahre später sind die Auswirkungen noch zu spüren. „Noch heute werde ich jedesmal nervös, wenn das Konto im Minus ist“, sagt der Unternehmer. Und der übergangene Angestellte meint: „Ich habe daraus gelernt, dass man nicht nur eine gute Idee haben, sondern sie auch gut verkaufen können muss.“
Gescheitert wird überall
Das Publikum lauscht den Fuck-Up-Stories aufmerksam und hat natürlich auch selbst jede Menge zum Thema beizutragen. Denn Gescheitert wird überall. „Wir reden übers Scheitern immer etwas despektierlich, dabei ist es menschlich und ein ganz wichtiger Punkt im Leben und auch im Christentum“, sagt Jörg Heuser. Zum Beispiel habe auch der Apostel Petrus ja versagt, indem er Jesus verraten habe. Doch Jesus habe ihn nicht verurteilt, sondern im Gegenteil weiter auf ihn gesetzt und sogar angekündigt, auf ihn seine Kirche bauen zu wollen. Und es gibt viele weitere prominente Beispiele. „Zum Beispiel die riesige Rakete, die Elon Musk vor kurzem gezündet hat – und die dann erst verschwunden und schließlich explodiert ist“, sagt Heuser. „Da hat man vor den Augen der Weltöffentlichkeit Milliarden in den Sand gesetzt. Doch das Team ist nicht verzweifelt. Es hat gelächelt und die Mission dennoch als Erfolg gewertet, weil man viel dabei gelernt und es immerhin bis dorthin geschafft hat. Try and Error. Wer es gar nicht erst probiert, hat schon verloren.“
In der abschließenden Andacht greift Priester Matthias Thiel das Thema des Abends auf. „Aus Zerbrochenem kann Neues entstehen mit Gott an unserer Seite“, sagt er – und spielt den Song „Reparieren“ des Sängers Tim Bendzko. Dort heißt es, wie ein Ratschlag an die Anwesenden: „Was werden wir tun, um weiter zu existieren? Ich bin schon über so viele Schatten gesprung'n und werd's jetzt bei meinem ausprobier'n.“
Weitere Informationen über das Projekt Ankerplatz-ffm für Kirche in der Arbeitswelt gibt es auf www.ankerplatz-ffm.de.