Ebbelwoi auf Ukrainisch
Charkiw, Cherson, Kiew – die Städte, aus denen die Menschen stammen, die sich an diesem Nachmittag vor dem Punctum versammelt haben, kennt man vor allem aus den Nachrichten. Und auch die Stimmung ist gedrückter als bei einer der üblichen Touristengruppen. Zwar wird hier und da freundlich gelächelt, doch sie alle haben Schlimmes erlebt, ihr Zuhause verloren und Verwandte zurückgelassen, um die sie sich nun sorgen.
Die citypastorale Einrichtung Punctum möchte Menschen, die aus der Ukraine fliehen mussten, mit einer Tour durch die Innenstadt willkommen heißen. „Wir wollen den Leuten, die alles verloren haben und sich selbst vielleicht noch etwas verloren in der Stadt fühlen, ein paar Eckpunkte an die Hand geben“, sagt Leiter Stefan Hoffmann. Praktikantin Sarah Hain hat die Tour konzipiert, die vom Punctum in die Liebfrauenkirche, durch die Kleinmarkthalle, den Dom, die neue Altstadt, zum Römer, an den Eisernen Steg und zur Paulskirche führt. Dafür hat sie im Vorfeld Informationen zusammengetragen und sie auf Englisch übersetzt, so dass die Ukrainerin Olesia, die bei der Tour dolmetscht, die Texte auf ihre Sprache übersetzen kann.
Sightseeing bei Frau Schreiber
Ein schönes kompaktes Programm, das in eineinhalb Stunden gut zu schaffen ist. In der neuen Altstadt staunt die Gruppe darüber, dass die vermeintlich historischen Häuschen noch ganz neu sind, auf dem Römerberg bewundern sie ein Brautpaar, das gerade aus dem Standesamt kommt. In der Kleinmarkthalle gehört Frau Schreibers Stand zu den Sehenswürdigkeiten, und auch die Frage, was denn der Unterschied zwischen Apfelschorle und Apfelwein ist, kann hier geklärt werden. Nach der Tour gibt es Kaffee und Kuchen im Punctum – und eine Musikerin aus der Ukraine spielt Violine.
„All die Kontakte, die die Stadtführung möglich machen, sind über unsere Ukraine-Bänder entstanden“, erzählt Stefan Hoffmann. Die Aktion läuft bereits seit einigen Wochen. Wer möchte, kann vor dem Punctum in der Liebfrauenstraße mit Filzstift etwas auf ein Band schreiben und so seine Solidarität mit der Ukraine ausdrücken. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer fühlen sich auf diese Weise eingeladen, ins Punctum zu kommen und das Gespräch zu suchen. Für Stefan Hoffmann und sein Team entstehen so wertvolle Kontakte in die wachsende Community.
Einmal als Touristin
Auch Olesia, die bei der Stadttour dolmetscht, ist mit ihren Kindern aufgrund des Krieges nach Frankfurt gekommen, genau wie Shizhana und ihr Mann Ivan aus Charkiw, die nun in Rödelheim leben und an diesem Nachmittag bei der Stadttour dabei sind. „Ich finde das sehr gut, denn ich interessiere mich für die Stadt, in der wir jetzt wohnen“, sagt die 28-jährige Grundschullehrerin dankbar. 2014 war sie mit einer Gruppe von der Universität schon einmal in Deutschland, damals in Berlin. Dass ihr das Land auf so dramatische Weise eine mindestens vorübergehende Heimat werden würde, konnte sie sich damals noch nicht vorstellen. In Frankfurt gefällt es Shizhana gut, allerdings sorgt sie sich um ihre Eltern, die noch immer in Charkiw sind. „Am wichtigsten ist es mir, Deutsch zu lernen, um hier bald als Lehrerin arbeiten zu können“, sagt sie. Ihr Mann arbeitet in der Baubranche.
Neben den elf Erwachsenen und zwei Kindern, die bei der ersten ukrainischsprachigen Führung dabei sind, haben noch etwa 40 weitere Menschen Interesse an einer Führung bekundet. Deshalb wollen Hoffmann und sein Team weitere Termine anbieten. Wer Interesse hat, kann die Termine unter info@punctum-katholisch.de, telefonisch unter (069) 1310467 oder direkt im Punctum in der Liebfrauenstraße erfragen.