Der Anker der Frankfurter Stadtkirche
Haben Sie schon einmal vom Gesamtverband der Katholischen Kirchengemeinden Frankfurt gehört? Wenn nicht, ist das nicht verwunderlich. Obwohl der Gesamtverband eine wesentliche Rolle in der Struktur des katholischen Lebens der Stadt spielt und wichtige Aufgaben erfüllt, taucht er so gut wie nie in der Öffentlichkeit auf. Bis jetzt: Zum 100-jährigen Bestehen am 1. April 2022 hat Historiker Maximilian Röll (34) die lange Geschichte der Verwaltungseinheit erforscht. Die Arbeit entstand in Kooperation mit der Forschungsstelle für die Geschichte des Bistums Limburg.
Um es vorweg zu sagen: Eine einfache Antwort auf die Frage, was der Gesamtverband eigentlich ist und was er tut, gibt es nicht. Vor allem ist der Gesamtverband eine Finanzbehörde und zuständig für die nicht-pfarrlich genutzten kirchlichen Immobilien und das Meldewesen.
Wie Röll in seiner mehr als 150 Seiten langen Studie berichtet, begann die Geschichte des Gesamtverbandes mit der Teilung der Dompfarrei: „Diese war territorial mit der Kernstadt der alten Reichsstadt identisch. Im Rahmen der Stadterweiterung kam es zur Gründung weiterer Pfarreien, die sich um den alten Stadtkern herumgruppieren.“ Die Aufspaltung war nötig, weil die Katholikenzahl ab dem 19. Jahrhundert deutlich anstieg, auch in der Innenstadt. 1922 wurden so aus der Dompfarrei fünf ehemalige Kuratien ausgegründet: die Pfarrei Allerheiligen, die Pfarrei St. Antonius, die Pfarrei St. Bernhard, die Pfarrei St. Bonifatius und die Pfarrei St. Gallus.
Augustinus Kilian, damaliger Bischof von Limburg, gründete den Gesamtverband zum 1. April 1922, wie Maximilian Röll in einem Interview zu seiner Forschungsarbeit mit der KNA erklärt: „Es war ein Verwaltungsakt, der dazu diente, das kirchliche Vermögen, das in der alten katholischen Pfarrei gebündelt war, nicht auf die neuen Innenstadtgemeinden aufsplitten zu müssen, sondern gemeinsam zu verwalten.“
Wachstum beschlossen
Dem Gesamtverband wurden bis 1959 eine Reihe von weiteren Pfarreien zugeordnet, sowohl durch Eingemeindungen als auch durch Neugründungen. Im Rahmen der Neugliederung der Dekanate in Frankfurt erschien es sinnvoll, den Gesamtverband schließlich auf alle Frankfurter Kirchengemeinden auszudehnen, was 1963 geschah. Dabei wurde auch beschlossen, alle Pfarreien, die künftig zur Stadt Frankfurt gehören würden, und alle neu zu gründenden Kirchengemeinden in den Gesamtverband einzugliedern.
Trotz seines Wachstums hat der Gesamtverband seit seiner Gründung viel an Einfluss verloren: In den ersten Jahrzehnten fungierte er zum Beispiel als Rentamt für alle Frankfurter Pfarreien und als Kirchensteuerbehörde; zudem gehörten ihm alle kirchlichen Grundstücke, also auch Kirchen und Pfarrhäuser. Dafür stattete er die Gemeinden mit finanziellen Mitteln aus, wo es notwendig war.
Eine Änderung der Geschäftsanweisung 1963 beschränkte die Aufgaben des Gesamtverbandes und übertrug den Pfarreien mehr Verfügungsgewalt. Seit 1963 ist der Gesamtverband vor allem für die Wahrnehmung der Aufgaben zuständig, die über die fachlichen und amtlichen Bereiche der einzelnen Kirchengemeinden hinausgehen. Er berät und betreut die Pfarreien auf dem Gebiet des Rechnungswesens, des Rechtsfriedens und Bauwesens und vertritt sie gegenüber staatlichen und kommunalen Behörden in Rechtsangelegenheiten. Er wahrt die Rechte der Kirche auf Dotationen gegenüber der Stadt Frankfurt und verwaltet die unselbstständigen kirchlichen Stiftungen, die keiner Kirchengemeinde zugeordnet sind.
Pfarreien gewinnen an Einfluss
Ebenfalls Anfang der 70er Jahre kam es durch eine Neuaufteilung der Grundstücke des Gesamtverbandes zugunsten der Kirchengemeinden noch einmal zu einem Einschnitt: Alle Gebäude und Grundstücke, die einer direkten pfarrlichen Nutzung dienten, wurden an die Pfarreien übertragen, also Kirchen und Pfarr- sowie Gemeindehäuser inklusive Pfarrei-Kindergärten.
Die zentrale Rolle des Gesamtverbandes in der Frankfurter Stadtkirche, schreibt Röll, sei es, als Verwaltungs- und Wirtschaftsinstitution pastorales Handeln zu unterstützen. Seit 1963 liege der Schwerpunkt seiner Arbeit auf der Verwaltung und Erhaltung des noch bestehenden Immobilienbesitzes als Grundlage für die finanziellen Ressourcen zur Unterstützung der pastoralen und sozialen Projekte der Stadtkirche. Das Bischöfliche Ordinariat ist dem Gesamtverband dabei sowohl Aufsichtsbehörde wie auch Kooperationspartner – ein Spannungsfeld, resümiert Röll.
Etwa ein Jahr hat er an seinem Projekt gearbeitet. „Die Arbeit speist sich im Wesentlichen aus den Akten des Gesamtverbandes in Frankfurt und der parallelen Überlieferung im Limburger Diözesanarchiv“, erklärt Röll, der in Katholizismusforschung und Mediengeschichte mit einem regionalen Schwerpunkt promoviert hat. Besonders im ersten Fall sei es schwer gewesen, sich durch die bislang historisch-wissenschaftlich unerschlossenen Quellen zu arbeiten. „Außerdem gibt es zum Gesamtverband – wie zu Gesamtverbandverbänden allgemein – keine respektive nur eine dünne Literaturlage. Ich lege daher die erste Darstellung vor, die sich explizit mit dem Gesamtverband Frankfurt beschäftigt.“ Vom Gesamtverband sei er bei seiner Arbeit sehr gut unterstützt worden, sagt er.
Dankbar und erleichtert
Guido Schell, Geschäftsführer des Gesamtverbands, ist dankbar für die viele Arbeit, die Maximilian Röll in die Erforschung der Geschichte investiert hat. „Vor allem bin ich auch froh über die Berichterstattung aus der NS-Zeit, das erleichtert mich persönlich sehr“, so Schell. In seiner Studie schreibt Autor Röll, der der NS-Zeit ein eigenes Kapitel widmet: „Eine wichtige Frage für Immobilieneigentümer, die schon in der NS-Zeit agiert haben, ist die Frage der Arisierungen, also der Übernahme jüdischen Besitzes durch Deutsche unter den judenfeindlichen Bestimmungen des NS-Staates. Soweit nachvollziehbar war der Gesamtverband an Arisierungen nicht beteiligt und profitierte nicht von der Verfolgung der Juden.“ Eine einzelne Transaktion des Gesamtverbands mit jüdischen Eigentümern – Hypotheken auf einem dem Gesamtverband gehörenden Grundstück am Unterweg – scheint, so heißt es im Papier, „im vollen Umfang vollzogen worden zu sein; nach 1945 sind keine Nachforderungen jüdischer Angehöriger nachweisbar.“
Die gesamte Studie wird beim Festakt Ende Juni übergeben und kann anschließend hier heruntergeladen werden.
Info
Organe des Gesamtverbandes sind Verbandsausschuss und Verbandsvertretung. Der Verbandsausschuss ist dabei das Schlüsselgremium, trifft Personalentscheidungen und vertritt den Gesamtverband im Rechtsverkehr, während die Verbandsvertretung Haushaltsplan und Jahresrechnungen beschließt und Mitglieder des Gesamtverbandsausschusses wählt.