Autobiografie eines schwulen Seelsorgers
Neben dem Laptop stapeln sich die alten Tagebücher. Eingebunden in braunen Cord, Leder und rote Folie und jeweils mit Jahreszahl versehen sind sie mehr als nur wertvolle Erinnerungen. „Bei der Arbeit an meinem Buch haben sie mir als Gedankenstütze gedient“, sagt Gregor Schorberger. Als 14-jähriger Bub in Essen-Karnap begann er damit, sein Leben zu dokumentieren, Erlebtes aufzuschreiben und Erinnerungsstücke einzukleben. Den detaillierten Aufzeichnungen ist es zu verdanken, dass nun eine umfassende Autobiografie erscheinen konnte.
Doch „GregorsBriefe – Ein schwuler Seelsorger im Dialog mit seinem Vater“ ist mehr als eine persönliche Lebenserinnerung, in Briefen erzählt. Bei dem 2021 im Größenwahn Verlag erschienen Buch handelt sich um ein zeitpolitisches Zeugnis, das die Emanzipation von Schwulen und Lesben in Deutschland ab den 70er Jahren detailliert beschreibt. Der Autor weiß, wovon er schreibt: Schorberger wurde selbst mehr als einmal bedroht und denunziert. Denn sich öffentlich zu seiner Männerliebe zu bekennen war riskant, bis 1994 standen sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe (Paragraph 175).
Er blieb sich mutig treu
Doch der Essener, der mittlerweile zum Frankfurter geworden ist, blieb sich mutig treu – und engagierte sich auch öffentlich für eine Präsenz von Schwulen und Lesben in der Kirche. So war der Pastoralreferent des Bistums Limburg bei der Gründung des Frankfurter christlichen homosexuellen Arbeitskreises 1975 dabei, gehörte 1977 zu den Gründungsmitgliedern der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) und ist seit den Anfängen im Projekt „Schwul und katholisch in der Gemeinde Maria Hilf“ aktiv, die aktuell ihr 30-jähriges Bestehen feiert. Am Sonntag, 5. September, 18.30 Uhr, gibt es zum Jubiläum einen Gottesdienst, der offen für alle ist und in dessen Anschluss in Maria Hilf (Rebstöcker Str. 70, Gallus) eine von Schorberger initiierte Ausstellung zu sehen sein wird, die bislang nur digital lief.
Der heute 74-Jährige, der mit seinem Mann Burkhard in Niederrad lebt, räumt ein, beim Schreiben sei so manches erlebtes Unrecht wieder hochgekommen. Doch auch Dankbarkeit dafür, wie viel bis heute erreicht wurde. Allerdings ist es für ihn eher Gewissheit als Vermutung, dass in Kirchenkreisen noch immer geschwiegen und viele lesbische und schwule Mitarbeiter sich lieber nicht zu erkennen geben würden. Ihnen möchte er mit seiner sehr persönlich und nah erzählten Geschichte Mut machen.
Weil Jüngere es sonst nicht glauben
Ähnliche Werke gibt es kaum, dabei leisten derartige Zeitzeugnisse einen wichtigen Beitrag zum Verstehen. „Wir, die diese Zeit erlebt haben, müssen davon erzählen, weil Jüngere es sonst vielleicht nicht glauben“, sagt Schorberger nachdenklich. Fünf Jahre hat er an seinem Buch gearbeitet, das nicht nur eine Zeitzeugenfunktion erfüllen, sondern auch schlicht die Dankbarkeit für ein glückliches Leben als selbstbestimmter, selbstbewusster und aktiver schwuler Mann ausdrücken soll. Gedanken, aus der Kirche auszutreten oder zum Beispiel evangelisch zu werden hatte Schorberger indes nie. Er unterstreicht: „Ich bin gerne Katholik – und gerne schwul.“
Als Erzählstil hat Gregor Schorberger die Briefform gewählt. Detail- und bildhaft schreibt er an seinen Vater, der zwar bereits 1976 starb, der ihm aber dennoch während des Schreibens am Küchentisch ganz nah gewesen sei. Der Grund dafür, dass es ein Briefroman und nicht einfach eine Erzählung geworden ist, ist simpel: „Ich bin es gewohnt, wissenschaftlich zu schreiben. Und ich sagte mir: ,Ehe du wieder in diesen Schreibstil verfällst, musst du dir etwas anderes überlegen.“ Gregor Schorberger hat zuvor vier Bücher veröffentlicht, unter anderem zu Themen der Krankenhausseelsorge und Begleitung von HIV-Patienten. Privat habe er schon immer gerne Briefe geschrieben, auch mit Mutter und Vater stand er in regem schriftlichen Austausch.
Der Plan ging auf, herausgekommen ist ein lebendiges Buch, aus dem Empörung über Ungerechtigkeit, Dankbarkeit für gute Zeiten und enge Verbundenheit zu engen Freunden sprechen. Unterstützt wurde Gregor Schorberger beim Schreiben übrigens von seiner Schwester Marlene, die als Deutschlehrerin den richtigen Blick fürs Manuskript hatte.
„GregorsBriefe – Ein schwuler Seelsorger im Dialog mit seinem Vater“ (ISBN 978-3-957712-83-7) ist im Größenwahn Verlag erschienen und hat 350 Seiten. Es kostet 19,90 Euro.