"Auseinandersetzung mit Sterblichkeit"
Eigentlich ist es nur ein Kreis, gemalt mit schwarzer Tusche auf weißem Papier. Und doch steht das Bild von Graphikerin Su Korbjuhn so umfassend für die Corona-Zeit, dass die Kirchengemeinde St. Jakobus es zum Titelbild der Ausstellung gemacht hat. „Die Künstlerin hat einen Kreis um sich selbst gezogen“, sagt Pfarrer Werner Portugall. Das Bild gehört zu acht weiteren gleichgroßen Gemälden, auf denen die Abdrücke gepresster Blumen zu sehen sind, betitelt mit den Worten „Begrabe meine Angst“.
Draußen die bedrohliche Welt, in der jedoch die Blumen wachsen, drinnen vermeintliche Sicherheit und die Gefahr der Isolation – das ist die Ambivalenz, mit der Corona die Menschen konfrontiert. Und genau deshalb ist es für die Gemeinde Sankt Jakobus wichtig, die Ausstellung mit Werken aus Niederrad in der Offenen Kirche Mutter vom Guten Rat trotz der aktuellen Situation zu zeigen. Im Lockdown jedoch explizit nicht als offene Kunstschau, sondern gezielt für Kirchen- und Gottesdienstbesucher, die ohnehin kommen würden. „Wir wollten damit die Stimmungslage im Stadtteil einfangen“, sagt Pfarrer Portugall.
"Ladenschluss" von Traditionsunternehmen
Acht Stationen gibt es in der Corona-Ausstellung, die noch den ganzen September in der Kirche aufgebaut sein wird. Dazu gehören Überbleibsel aus den von Corona beschleunigten Geschäftsschließungen der Bäckerei Opitz und der Druckerei Imbescheidt genauso wie ein Gedicht der Lyrikerin Marion Poschmann, das mit blauen Klebebuchstaben auf die Glastüren zum Innenraum aufgebracht wurde.
Auf einem Sockel auf der anderen Seite der Kirche werden die Gegenstände aufgetürmt, die im ersten Lockdown stets ausverkauft waren: Klopapier, Mehl, Hefe und weiteres. „Hamstergüter und Hoffnungszeichen“ steht auf einem Schild daneben, und die Hoffnungszeichen sind nicht weit weg, präsentiert unter Glashauben: Von Pfadfindern genähte Masken, die zugunsten des Schwanheimer Kobelt Zoos verkauft wurden, ein bemalter Stein und in Papier eingeschlagene Hostien. Letztere wurden in den Gottesdiensten ausgegeben und anschließend gleichzeitig von den Gläubigen am Platz ausgewickelt. „Corona hat uns so manche Erkenntnis gebracht“, berichtet Pfarrer Portugall nachdenklich. Zum Beispiel, dass es den Menschen gefällt, gemeinsam die Kommunion zu empfangen und nicht nacheinander. Das möchte er auch nach Corona versuchen.
Im Rückzug steckt der Wunsch nach Unverwundbarkeit. Da fehlt immer noch das Eingestehen der eigenen Sterblichkeit.
Pfarrer Werner Portugall
Ein sehr auffälliges Ausstellungsstück ist das blaue Banner, auf dem mit gelben Buchstaben der Schriftzug „Glaubst du an Corona?“ zu lesen ist. Werner Portugall beobachtet die gesellschaftlichen Reaktionen auf die Pandemie mit philosophischem Interesse und Sorge gleichermaßen. „Im Rückzug steckt der Wunsch nach Unverwundbarkeit. Da fehlt immer noch das Eingestehen der eigenen Sterblichkeit“, sagt er.
Nur durch Zufall kam die Fotoserie „Lieblingsplatz“ in die Ausstellung. Der Küster der Offenen Kirche fand beim Aufräumen während des Lockdowns die Kiste mit den Fotografien von Karin Rothe wieder. Sie zeigen Menschen aus Niederrad im Portrait und dazu ihren persönlichen Lieblingsplatz in ihrer Wohnung. Diese Serie war vor Jahren für eine Friedensdekade zum Thema „Lebensstile“ entstanden. „Doch angesichts der aktuellen Situation bekommt sie eine eigene Aktualität“, erklärt Portugall.
Während man in der „Prayer Corner“ selbst ein Gebet notieren und in ein Kreuz stecken kann, macht die Station mit dem Titel „Totholz“ nachdenklich. Das verkohlte Aststück soll darauf aufmerksam machen, dass Corona auch die Abholzung des Regenwaldes beschleunigt.