Anerzählen gegen das Vergessen
Der Titel seines neuen Buches war, leider, lange Zeit auch für ihn selbst Programm in der katholischen Kirche: „Liebende diskriminiert und verurteilt“ heißt der Band, den der Frankfurter Theologe und Pastoralreferent im Ruhestand Gregor Schorberger ganz frisch im Kohlhammer Verlag veröffentlicht hat. Der Untertitel lautet: „Römisch-Katholische ,175er‘ und ihre Kirche“, denn um sie geht es: Schwule Katholiken, die nach dem Zweiten Weltkrieg durch die von den Nationalsozialisten 1935 verschärften Paragrafen 175 und 175a kriminalisiert, diskriminiert und verfolgt wurden – und die als Zeitzeugen von dem erzählen, was ihnen angetan wurde. Denn das Leid ging lange: Im Jahr 2002 hob der Bundestag die während der Zeit des Nationalsozialismus ergangenen Urteile auf, erst am 22. Juli 2017 wurden auch alle Urteile nach 1945 aufgehoben.
Für viele Betroffene geht mit den Paragrafen 175 und 175a lebenslanges Unrecht einher, darauf möchte Gregor Schorberger mit seinem neuen Buch aufmerksam machen. Auf 257 Seiten gibt er einen Einblick in die Lebenswirklichkeiten schwuler Katholiken nach dem Zweiten Weltkrieg und lässt sieben Personen selbst zu Wort kommen. „Nicht nur diese Männer, sondern auch ihre Familien, Freunde und ihr gesamtes soziales Umfeld standen weiterhin unter gesellschaftlicher Ächtung durch die Paragraphen“, heißt es im Klappentext. Besonders schlimm: Zusätzlich zum rechtlichen „Verbot“ wurden schwule Katholiken durch kirchliche Verlautbarungen, Diskriminierungen und Verurteilungen als besondere „Sünder“ stigmatisiert. Ein innerkirchliches Problem, das auch im Jahr 2024 noch nicht überall gelöst ist …
Autor Schorberger hat für sein Buch Zeitzeugen befragt, die er an die Paragrafen angelehnt als sogenannte „175er“ bezeichnet. Sie berichten nach ihrem Outing von den Verbrechen der Kirche und des Staates an ihnen. Es sei diesen sieben schwulen Christen durch ihr selbstbewusstes, selbstaktives und selbstverantwortliches Auftreten gelungen, zum Abbau der Stigmatisierung und Marginalisierung in Kirche und Staat beizutragen, schreibt er.
Zu seiner Motivation befragt, zitiert Schorberger den ehemaligen evangelischen Kirchenpräsidenten Andreas Barner mit den Worten: „Was nicht aufgearbeitet wird, wirkt weiter.“ Deshalb sei es so wichtig, diejenigen, die großes Unrecht erfahren haben, selbst zu Wort kommen zu lassen – solange es noch geht, solange sie noch da sind. „Erfreulicherweise werden jüdische Menschen, die in der NS-Zeit diskriminiert, verfolgt und eingesperrt wurden, noch zu Lebzeiten aufgerufen, von ihren persönlichen Erfahrungen zu erzählen“, erklärt Schorberger. „Genauso wichtig ist, dass homosexuelle Männer von den Verbrechen ihres Staates und ihrer Kirche in der Bundesrepublik Deutschland an ihnen berichten, solange sie es noch selbst tun können. Als Zeitzeugen, nicht nur in der kirchlichen Gesellschaft, also in Pfarrgemeinden, Vereinen, Häusern, Akademien, Fakultäten, sondern breit hörbar.“ Dies habe ihn auch bewogen, 2021 seine Autobiographie „Gregorsbriefe“ als schwuler Seelsorger herauszubringen (Bericht „Autobiografie eines schwulen Seelsorgers“ hier lesen).
Das Buch „Liebende diskriminiert und verurteilt“ ist im Kohlhammer Verlag erschienen (ISBN 978-3-17-044700-4) und kostet 52 Euro. Es ist günstiger auch als eBook-Version verfügbar. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite des Verlages.