Das Ein-Mann-Begrüßungskomitee der Stadtkirche
Er ist das neue Gesicht in der Stadtkirche – und vielleicht auch bald schon in Ihrem Betrieb unterwegs. Denn Jörg Heuser ist seit 1. September fürs Themenfeld „Arbeitswelt und Kirche“ zuständig. Und knüpft aktuell Kontakte zu Akteuren und Unternehmen, um sich ein genaues Bild davon zu machen, was Menschen, die in Frankfurt arbeiten, brauchen.
In einer Stadt wie Frankfurt, in der der Arbeitsmarkt immer in Bewegung ist, eine wichtige, aber schwierige Aufgabe. Was er den Frankfurterinnen und Frankfurtern genau anbieten möchte, daran arbeitet Jörg Heuser vier Wochen nach dem Start natürlich noch. „Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, mit Berufstätigen in Kontakt zu kommen. Eine Idee ist es, gerade nach denen zu schauen, die neu sind in Frankfurt, noch wenig Leute kennen und nach der Arbeit nicht wissen, wohin.“ Dabei geht es ihm nicht darum, zugezogene Menschen in die Kirche zu holen oder für Pfarrei-Arbeit zu begeistern. Wenn das passiert, ist es nur ein netter Nebeneffekt. Im Kern geht es darum, Zugezogenen eine soziale Starthilfe zu geben, damit sie in der neuen Stadt besser ankommen. Ideen, wie das gelingen kann, hat er bereits viele. „Momentan spreche mit vielen verschiedenen Menschen, schaue in viele verschiedene Unternehmen und versuche, mir ein Bild zu machen, was eigentlich benötigt wird“, sagt er.
Mit Umweg über Los Angeles und Seattle
Heuser passt gut auf die Stelle, da er aus eigener Erfahrung weiß, was es heißt, die Jobs zu wechseln und herumzukommen. Der 52-Jährige, der mit seiner Frau in Ginsheim wohnt und täglich nach Frankfurt pendelt, kommt eigentlich aus dem Saarland. Er wuchs katholisch auf, hatte aber nach der Firmung wenig Kontakt zur Kirche. Vor dem Abitur machte er eine Lehre als Betriebsschlosser, einerseits, um anschließend Industriedesign studieren zu können, doch vor allem, um etwas Handfestes zu haben, denn das schadet bekanntlich nicht. Interessant: „In dieser Lehre habe ich auch eine Weile bei Saarlouis unter Tage gearbeitet, das war eine spannende Erfahrung.“ Der Lehre folgte wie geplant ein Studium in Darmstadt und Manchester, anschließend arbeitete Jörg Heuser als Industriedesigner bei kleinen und großen Unternehmen in Köln, Darmstadt und im Schwäbischen, in Los Angeles und Seattle. Bis heute begeistert ihn das Thema Design – kommt das Gespräch auf ein bestimmtes Produkt, macht es ihm Spaß, mit wenigen Strichen mal eben das Besagte zu skizzieren.
Liebe und Vergebung als bestechende Logik
Eigentlich war Jörg Heuser glücklich als Industriedesigner. Doch dann kam der 11. September 2001. „Und kurz danach hatte ich mein Berufungserlebnis“, erzählt er. Während er in seiner Wohnung in Schwäbisch Hall übers Fernsehen den Einsturz der Türme verfolgte, hatte er plötzlich einen fatalen Gedanken: Das wird jetzt richtig schief gehen. Krieg, Gegenschlag, Hass, Zerstörung, Tod – all diese Dinge waren plötzlich zum Greifen nah, die Situation schien ausweglos. Jörg Heuser sehnte sich nach Halt und ging in die Kirche. „Im Gottesdienst griff der Priester das Thema auf und betete für die Opfer. Und er betete für die Täter.“ Die Kirche sei übervoll gewesen, die Menschen irritiert und traurig, die Bilder der brennenden Türme jedem vor Augen. Dass der Priester auch die Täter ins Gebet einschloss, empfang Jörg Heuser als unglaublich mutig. „Und da wusste ich plötzlich: Das ist die einzig vernünftige Antwort, das hatte für mich eine bestechende Logik.“ Hass und Vergeltung bringen nur immer weiteres Leid, doch Liebe und Vergebung zeigen einen Ausweg.
Jörg Heuser begann, regelmäßig in den Gottesdienst zu gehen und eine klare christliche Sichtweise aufs Leben zu entwickeln, wie er berichtet. Durch Zufall – eines Tages war er zu spät dran und ging deshalb spontan in den später beginnenden evangelischen Gottesdienst – kam er zu einem protestantischen Gospelchor und engagierte sich dort jahrelang als Sänger und Konzertorganisator. Doch geistlich fühlte er sich immer in der katholischen Kirche zuhause. Er probierte verschiedene Gemeinden aus und fand in Hessental, einem Stadtteil von Schwäbisch Hall, eine Gemeinde, die ihn begeisterte. „Dort war ich dann auch im Pfarrgemeinderat und habe die Jugendkirche Cross Night mitgegründet“, erzählt er. Bei den Vorbereitungen zu einem von Jörg Heuser verfassten Theaterstück lernte er die Arbeit des dortigen Gemeindereferenten kennen und sah, dass man nicht Priester sein muss, um hauptamtlich in einer Gemeinde zu arbeiten. „Ich hätte mir sofort vorstellen können, Theologie zu studieren und diesen Weg einzuschlagen, aber ich habe damals in Vollzeit gearbeitet und sah noch keine Möglichkeit.“
Eine Art Zeichen
Die kam, als er einige Jahre später als Industriedesigner in Rüsselsheim arbeitete – und seinen Job verlor. Das sei wie ein Zeichen gewesen. „Und außerdem wollte ich nicht mehr durch die Welt ziehen, sondern endlich irgendwo ankommen.“ Er bewarb sich im Bistum Limburg auf die Ausbildung zum Gemeindereferenten und begann mit der Zusage in der Tasche sein dreijähriges Studium der Praktischen Theologie an der Katholischen Hochschule Mainz. Nach dem Abschluss ging er für zwei Jahre zur Ausbildung nach St. Birgid Wiesbaden. „Dort ist die Gemeinde sehr lebendig, die Menschen sind sehr offen – eine tolle Zeit!“ Gemeinsam mit dem dortigen Team baute er in der Corona-Zeit unter anderem einen Podcast-Kanal auf und steuerte selbst über 30 Folgen dazu bei.
Besonders an seinem neuen Job ist nicht nur das Arbeitsfeld, sondern auch die Aufhängung innerhalb des Kirchenkosmos. Denn normalerweise sind Gemeindereferenten, wie der Name schon sagt, direkt bei Pfarreien angestellt. Doch Jörg Heuser hat eine auf fünf Jahre ausgelegte sogenannte „dynamische Stelle“, angedockt bei der Stadtkirche.
Wie „dynamisch“ sie tatsächlich ist, zeigt sich auch an seinem Arbeitsplatz: Ein festes Büro hat Heuser nicht, stattdessen hat er im katholischen Co-Working-Space Villa Gründergeist im Westend einen flexiblen Schreibtisch. Die Dienst- und Fachaufsicht liegt beim Bischofsvikariat für Kirchenentwicklung in Limburg.