Bühne oder Schweigekloster?
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Wer bin ich? Diese Frage steht oben auf dem Zettel – und anschließend werden 66 Charaktereigenschaften aufgelistet. Darunter zum Beispiel: abenteuerlustig, hilfsbereit, organisiert, pünktlich, zuverlässig. „Jetzt streicht mal alle weg, die nicht auf Euch zutreffen, das sollte ungefähr die Hälfte sein“, sagt Jörg Heuser zu den Menschen, die um ihn herum an einem Café-Tisch sitzen. Eigentlich eine leichte Aufgabe, oder? Doch schnell stellt sich heraus, dass es alles andere als einfach ist. Denn alle 66 Charaktereigenschaften sind durchweg positiv besetzt. Und wer möchte schon gerne von sich behaupten, nicht intelligent, originell, teamfähig oder tolerant zu sein?
Am Donnerstagabend hat sich eine kleine Gruppe zum ersten von vier Job-Talk-Cafés in der Innenstadt getroffen. Dazu eingeladen hat Jörg Heuser, Gemeindereferent bei der Katholischen Stadtkirche und dort zuständig für das Themenfeld Arbeitswelt und Kirche. Mit seinem Projekt Ankerplatz-ffm bietet er Formate für Menschen, die in Frankfurt arbeiten – und die darüber mit anderen in Kontakt kommen möchten.
„Jobumgebungen sind zum Teil chaotisch, es passieren Dinge, die ich nicht kontrollieren kann“, sagt der Theologe, der sich selbst bereits mehrfach drastisch beruflich verändert hat und daher weiß, wie sich Umbrüche anfühlen. „Viele von uns teilen solche Erfahrungen. Es tut dann gut zu merken, dass das nicht heißt, dass ich mein Leben nicht unter Kontrolle habe.“
Selbstbewusst im Job
Unternehmen wandeln sich rasant, von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird viel Flexibilität erwartet. Um auch unsichere Situationen aushalten zu können, ist Resilienz wichtig – denn nur dann kann man gelassen an Veränderungen herangehen. „Auch wenn Abteilung umgebaut, Menschen versetzt, Teams aufgebrochen werden, heißt das nicht, dass jetzt alles blöd wird“, so Heuser. Sich zu besinnen darauf, was man kann, was einen als Mensch ausmacht und auch, welche vom Arbeitgeber gefragten Eigenschaften man ins Team einbringt, stärken die Resilienz und das Selbstbewusstsein.
Job-Talk-Café
Nach dem Auftakt geht die Reihe Job-Talk-Café im März weiter. Am 20. März, 24. April und 22. Mai (donnerstags) werden ab jeweils 18 Uhr im „Das Herz von Frankfurt“ (Braubachstraße 31, Innenstadt) Themen besprochen wie Abgrenzen im Job, der Umgang mit Versagensängsten, Stress im Job und der Blick in die Job-Zukunft. Die Idee: Es gibt Kaffee, Workshops, Impulsvorträge, Zeit zum Austausch und die Möglichkeit, mit anderen, die in Frankfurt arbeiten, in Kontakt zu kommen.
Wer teilnehmen möchte, schreibt eine E-Mail an anmeldung@stadtkirche-ffm.de mit dem Betreff: „Job-Talk-Café“ und der Info, ob an allen oder an welchem Termin er teilnehmen möchte. Das Job Talk-Café ist ein Angebot von Ankerplatz-ffm, der Arbeitswelt Initiative des Bistums Limburg und der Stadtkirche Frankfurt.
Dafür ist auch die Liste mit den 66 Charaktereigenschaften gedacht, auch Attribute genannt: Darauf stehen am Ende die stärksten fünf persönlichen Eigenschaften, die jede und jeder für sich herausgearbeitet hat – und daneben weitere fünf Eigenschaften, die im aktuellen Job besonders gefragt sind. Beim Blick darauf wird deutlich, dass es viele Überschneidungen gibt und Fähigkeiten, die noch weiter ausgebaut werden können, um die Schnittmenge noch zu vergrößern. Und im darauffolgenden Gespräch kristallisiert sich heraus, dass Anerkennung von Stärken oft zu kurz kommt – auch bei Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer selbst übrigens, die nicht immer den für sie passenden Job wählen. „Das Beste ist doch, wenn man in einer Tätigkeit ankommt, in der man für seine natürlichen Fähigkeiten geschätzt wird, ohne sich verbiegen zu müssen“, sagt denn auch eine Teilnehmerin und erntet für folgenden Vergleich einige Lacher: „Wer viel redet, ist im Schweigekloster sicher falsch, auf einer Bühne aber genau richtig.“
Tiefe Gespräche
Auch wenn die Branchen, aus denen die Teilnehmenden kommen, unterschiedlich sind, gleichen Erfahrungen sich doch, das wurde am Donnerstagabend bei den teils tiefen Gesprächen deutlich. Sich gegenseitig zu erzählen, was gut und nicht so gut läuft, über Erfolge und Misserfolge, Hoffnungen und Enttäuschungen zu sprechen kann nicht nur hilfreich, sondern regelrecht heilsam sein. Diese Erfahrung macht Heuser seit vier Jahren im Zuge seiner Arbeit bei Formaten wie dem jährlichen Job-Talk-Sommerfest, bei Social-Days, die er gemeinsam mit der Caritas als Teambuilding-Maßnahme für Gruppen anbietet, bei der Mobbing-Kontaktstelle, die er mit organisiert, und auch beim jährlichen Segelturn für Berufstätige, der in diesem Sommer zum dritten Mal stattfindet und der erstmals schon sehr früh ausgebucht ist.
„Ich bin hergekommen, weil ich es toll finde, dass die Kirche rausgeht und Menschen in ihren Lebenswelten trifft – und nicht erwartet, dass man zu ihr kommt“, berichtet eine Teilnehmerin nach der gut zweistündigen Veranstaltung. Eine junge Frau, die bereits andere Formate von Ankerplatz-ffm besucht hat, sagt, es sei sehr hilfreich gewesen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Eigenschaften eigentlich gefragt seien – und das damit abzugleichen, was man selbst mitbringe. „Wenn klar ist, was mein Chef sich wünscht und das Fähigkeiten sind, die ich in mir habe, kann ich diese künftig stärker betonen“, so ihr Fazit des Abends.