Das Ideal von einem Europa der Barmherzigkeit
FRANKFURT.- Es gilt das „Ideal, dass Europa eine Zivilisation der göttlichen und menschlichen Barmherzigkeit sein sollte.“ Darauf hat der Bischof von Stockholm, Anders Arborelius OCD, am Samstag, 30. Januar, im traditionellen Karlsamt zu Ehren Karls des Großen im Frankfurter Kaiserdom verwiesen. Der Karmelitermönch Arborelius, der seit 1998 Bischof des katholischen Bistums in der schwedischen Hauptstadt Stockholm ist, betonte, die Frohe Botschaft könne nie Grundgesetz eines Staates werden. Sie müsse vielmehr „immer prophetisch und kritisch der Welt gegenüberstehen, sie aber zugleich beeinflussen und evangelisieren“.
Europa hat nach Ansicht des schwedischen Bischofs eine Berufung und ein eigenes Charisma. Es sei von christlichen Grundwerten bis heute geprägt: „Unsere Gesellschaft muss ein offenes Haus mit offenem Herzen bleiben für diejenigen, die nirgendwo anders willkommen sind,“ unterstrich der Bischof. Für die Zukunft Europas sei es aber auch „überaus wichtig, dass Frieden zwischen den Gläubigen aller Religionen herrscht.“ Dazu gehöre das Judentum, „obwohl man im Herzen Europas versucht hat, das Judentum zu vernichten“. Und auch die Muslime könnten Europa helfen, eine „wichtige Wahrheit der Frohen Botschaft wiederzuentdecken: den Willen Gottes und seine barmherzige Vorsehung“.
Eine bunte Kirche
Die katholische Kirche in Schweden mit 113.000 registrierten Katholiken und einer geschätzt gleich hohen Dunkelziffer ist bunt: Sie besteht aus 122 verschiedenen Nationalitäten, darunter gibt es auch viele syrische und chaldäische Katholiken. Schweden hat ähnlich wie Deutschland seit dem vergangenen Jahr besonders viele Flüchtlinge aufgenommen, will jetzt aber etwa die Hälfte der rund 160 000 Geflüchteten wieder abschieben. Wie Arborelius im Domgespräch vor dem Karlsamt erläuterte, sind dafür vor allem innenpolitische Gründe verantwortlich. Es gebe zunehmend ethnische und religiöse Spannungen etwa zwischen Christen und Muslimen und einen wachsenden Antisemitismus in der muslimischen Bevölkerung. Die Christen in Schweden bemühten sich gemeinsam darum, die Religionen friedlich in Kontakt miteinander zu bringen.
Der 66-jährige Arborelius ist als erster skandinavischer Bischof Gast beim Karlsamt, dem alljährlich zum Todestag Karls des Großen ein europäischer Bischof vorsteht, um den Gedanken eines einigen Europas zu würdigen. Er weist eine für schwedische Geistliche nicht untypische Biographie auf, wie er im Domgespräch erzählte: Mit 20 Jahren konvertierte er zum katholischen Glauben, mit 22 trat er in das Karmeliterkloster von Norraby in Tågarp ein, unweit von Landskrona. Er studierte Philosophie in Brügge und Rom und wurde 1979 zum Priester geweiht.
Ehrung für den Gründervater Europas
Die katholische Stadtkirche Frankfurt erinnert immer am letzten Samstag im Januar mit ihrem traditionellen Karlsamt an den Gründervater Europas, der auch Patron der Stadt und des Kaiserdoms ist. In dem farbenprächtigen Gottesdienst, zu dem traditionell auch Vertreter der Ritterorden in den Dom einziehen, erklingen mittelalterliche lateinische Gesänge wie die Karlssequenz, ein Lobgesang auf Kaiser und Stadt, und die Kaiserlaudes, in der Huldigungsrufe an Christus mit Bittrufen für Kirche, Papst, Bischof, das deutsche Volk und alle Regierenden verbunden werden. Einen vergleichbaren Gottesdienst gibt es außer in Frankfurt nur in der Karlsstadt Aachen.
Karl der Große gilt als Gründer Europas nach dem Ende des römischen Imperiums. Er starb am 28. Januar 814. Im Jahr 794 hatte er eine Reichssynode nach Frankfurt berufen und so für die erste schriftliche Erwähnung der heutigen Main-Metropole gesorgt. Seit mehr als 600 Jahren gedenken die Frankfurter Katholiken immer am letzten Samstag im Januar dieses „Vaters des Abendlandes“ und beten für eine gute Zukunft Europas.
Kaum eine Persönlichkeit hat Europa im frühen Mittelalter so geprägt wie Karl der Große. Er gilt in der Geschichtsschreibung bis heute als großer Politiker und geistiger Vordenker eines vereinten Europas, als Stratege und Reformer der Verwaltung, aber auch als Machtmensch und Unterdrücker. Sein Wirken hat das Schicksal vieler Völker über Jahrhunderte geprägt. Mit einer umfassenden Bildungsreform und der Schaffung von verbindlichen wirtschaftlichen Vorschriften legte er wichtige Grundsteine für die Entwicklung Mitteleuropas im Mittelalter. Sein Reich konnte er aber nur durch gleichermaßen geschickte wie rücksichtslose Machtpolitik aufbauen. (dw)