Radikale Umkehr, aber bitte nicht griesgrämig
Die eine will den Kapitalismus überwinden, der andere entwirft Plakate und übt Lieder zur Gitarre ein, um seinen Arbeitskollegen die Notwendigkeit einer ökologischen Umkehr deutlich zu machen. Wieder andere haben sich vorgenommen, in Zukunft bewusster zu leben, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, wenn sie weiterhin in den Urlaub fliegen. Für ein paar wenige waren die fünf Wochen nicht das richtige: Sie sind frühzeitig ausgestiegen, weil ihnen der Kurs zu fromm oder zu umweltlastig war, oder der Zeitaufwand zu groß.
Der Kurs, das war ein Experiment der evangelischen und katholischen Kirche in Frankfurt: „erd-verbunden“ nannten sich diese ökumenischen Exerzitien im Alltag zur Fastenzeit. Zu "neuem Handeln" sollten sie idealerweise führen und zum Überdenken der eigenen "imperialen Lebensweise" im Angesicht von Krieg, Hunger, Klimawandel und Umweltzerstörung. Nichts Geringeres als ein „Übungsweg zur Schöpfungsverantwortung im Anthropozän“ war versprochen. An fünf Abenden gab es überwiegend in Kirchengemeinden über die ganze Stadt verstreut acht Gruppen mit insgesamt mehr als 80 Teilnehmern, die – wie es in der Ausschreibung hieß – aufgerufen waren, „ihre Lebensweise zu überdenken und zu verändern“. Außerdem seien die Fasten-Exerzitien der „Negestaltung politischer und wirtschaftlicher Prozesse“ verpflichtet. Die „tiefe Verbundenheit mit Mutter Erde und allen Geschöpfen“ sollte so gestärkt werden.
Genügsamkeit als Genuss
Thorsten*, IT-Mitarbeiter in einem der großen Frankfurter Bankentürme, fühlte sich von genau diesen Aussagen angesprochen. Der Mittvierziger, der keiner Kirche angehört, hat seit einigen Jahren für sich erkannt, dass es mehr braucht um die Welt zu retten als einfach so weiterzumachen wie bisher. Er hat seine Lebensweise und Ernährung radikal umgestellt und will künftig auf Flüge verzichten: „Vielleicht einmal noch“, lacht der Vater zweier Söhne, „da muss sich meine Frau aber gut überlegen, wo sie hinwill. Denn das war´s dann.“
Auch Gundula*, eine pensionierte Lehrerin, zieht radikale Schlüsse: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich der Kapitalismus zähmen lässt. Da will ich dran bleiben“, erzählt sie, die sich seit Jahrzehnten in ihrer evangelischen Gemeinde ebenso wie früher im Beruf vehement für Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzt.
Ein pensionierter Schulleiter aus Mainz zieht beim Abschlusstreffen der Gruppe, die im Haus am Dom getagt hat, eine gemischte Bilanz: „Mit meinen fast 70 Jahren will ich mir kein schlechtes Gewissen mehr einreden lassen!“ Das „Leben in Fülle“, ja, das wolle er schmecken, aber dazu müsse auch ein gewisser Luxus erlaubt sein, um es wirklich ganz genießen zu können, ein edles Essen mit dem Sohn oder der Flug zur Verwandtschaft in Spanien etwa. „Wenn alles so griesgrämig und moralinsauer daher kommt, ist das nichts für mich.“
Sein Sitznachbar, ein Religionslehrer ebenfalls aus Mainz, springt ihm bei: „Ich will entscheiden, Dinge anders zu machen und das auch konkret angehen, aber diese Genügsamkeit sollte nicht freudlos daherkommen. Ich will sie auch genießen.“ Von Verzicht wolle er deshalb nicht reden, sondern lieber überlegen, was er wirklich brauche und das dann auch mit Genuss durchsetzen.
Glaubensantworten auf ökologische Herausforderungen
Für Thomas Wagner, Studienleiter für „Arbeit und Soziales in der Einen Welt“ und Mitinitiator der Exerzitien im Alltag, zeigen solche Äußerungen, dass die fünf Wochen eines gemeinsamen Weges nicht umsonst waren. Die spirituellen Impulse für tägliche Einzelbetrachtungen, die jeder Teilnehmer für sich in seinen Alltag einbauen konnte, haben sich seiner Einschätzung nach gelohnt: "Christinnen und Christen können und müssen neue Glaubensantworten auf die ökologischen und spirituellen Herausforderungen unserer Zeit finden", ist er überzeugt. Anregungen zur Meditation, der Erfahrungsaustausch in der Gruppe hätten bei jedem einzelnen etwas bewegt. Und vielleicht schaffen es Thorsten und die anderen sogar, Kollegen, Freunden und Familie etwas von diesem Erfahrungsschatz weiterzugeben. Und wenn es mit Plakaten und Liedern zum Arbeitsbeginn in einer Frankfurter Bank ist….
(*Die Namen der Kursteilnehmer wurden geändert)