Frankfurts "Gudd Stubb" strahlt
FRANKFURT.- Dicht gedrängt sitzen die Menschen auf Bierbänken vor der Bühne auf dem Römerberg, begeistert klatschen sie mit, wenn Gospelchöre auf der Bühne swingen oder der Chor der philippinischen Gemeinde mitreißend singt. Nachdenklich hören sie zu, wenn Zeitzeugen von ihren Erfahrungen mit der DDR berichten oder die christliche Friedensorganisation Pax Christi mahnt, die Grenzen für Menschen zu öffnen, für Waffenlieferungen aber zu schließen. Still sammeln sie sich am Mahnmal für tote Flüchtlinge vor dem Gerechtigkeitsbrunnen, wo Kerzen und Blumen auf einem meerblauen Grund die tödliche Gefahr heraufbeschwören, der sich Menschen auf der Flucht vor unerträglichen Zuständen in ihrer Heimat aussetzen.
Frankfurts "gudd Stubb", der Römerberg, strahlt in der Sonne am Nachmittag dieses 3. Oktobers. Und auch die Menschen, die hier vorbeiflanieren, innehalten, zuhören, ins Gespräch kommen, strahlen - bei aller Sorge, die das Flüchtlingsthema auch verbreitet. Katholische und evangelische Kirche sowie die Evangelische Allianz verantworten zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit ein gemeinsames, buntes, aber auch zum Nachdenken anregendes Programm aus Musik, Gespräch, Performance und eben dem Flüchtlingsthema, das von den Verantwortlichen ins Auge gefasst worden war, als die dramatische Situation dieses Herbstes noch gar nicht absehbar war.
Ökumenischer Gottesdienst im Kaiserdom
Am Morgen hatte auch der Apostolische Administrator im Bistum Limburg, Weihbischof Manfred Grothe, bei einem ökumenischen Gottesdienst zum Auftakt der zentralen Einheitsfeiern im Frankfurter Kaiserdom St. Bartholomäus betont, dass Vielfalt und Einheit in Deutschland ein "großes, kostb<ares Geschenk" sind. Grothe begrüßte im Gottesdienst, der von der ARD direkt übertragen wurde, Bundespräsident Joachim Gauck, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundeskazlerin Angela Merkel, die Ministerpräsidenten der Bundesländer und zahlreiche Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.
In seiner Predigt hob der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung (Darmstadt), hervor, dass 25 Jahre Deutsche Einheit viel Grund zur Dankbarkeit böten. Gleichzeitig gehe es darum, den Feiertag nicht national zu überhöhen, sondern die gegenwärtigen Herausforderungen in Europa und in der Welt in den Blick zu nehmen. Das Jubiläum unter dem Motto „Grenzen überwinden“ sei ein guter Anlass dafür, danach zu fragen, was Menschen im Leben wirklich trägt. Die Liebe besitze die Kraft, Barrieren zu überwinden. Es bleibe zu hoffen, dass Gott allen die Kraft schenke, „das Zusammenleben in Deutschland so zu gestalten, dass Menschen das leben können, worauf es ankommt ? nämlich füreinander da zu sein und zu einem guten und friedlichen Miteinander in Europa und in dieser Welt beizutragen“.
Das Unmögliche für möglich halten
Am Abend dann strahlt der Römerberg im Glanz von vielen tausend Kerzen. Aus verschiedenen Richtungen der Stadt führen Kerzenprozessionen zur Bühne der Kirchen. Friedensgebete in mehreren Gotteshäusern münden hier im großen ökumenischen Dank- und Fürbittgottesdienst, mitreißend musikalisch untermalt von Judy Bailey und Band.
Da kommen Kinder und Jugendliche mit großen Pappkartons zusammen, die beim Jugendkreuzweg "Wall City" die Mauern in den Köpfen heute ergründet hatten. In Windeseile errichten sie eine symbolische Mauer vor der Bühne, die sie aber genauso schnell überwinden, indem flugs Treppen aus Kartons an die Mauer gestapelt werden. "Pizza und Grüne Soße und Döner, das ist alles deutsches essen", erzählt ein Mädchen am Mikrofon. Deutschland ist bunt und vielfältig, wäre doch gelacht, wenn die Mauern in den Köpfen nicht niederzureißen wären, lautet die Botschaft der jungen Frankfurter.
Aber auch die Älteren kommen voll guter Erfahrungen dieses gelungenen Einheitsfestes zum Römerberg, Kerzen in den Händen. Kerzen stehen brennen mittlerweile auch auf der Mauer der Jugendlichen. Kerzen aus Leipzig, wo die Friedensgebete ihren Anfang nahmen, die ihren Teil zur friedlichen Revolution in der DDR beigetragen hatten. Empfangen werden die Menschen von Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche und der Evangelischen Allianz, die diesen Dankgottesdienst jedes Jahr zum 3. Oktober organisiert. Der katholische Stadtdekan Johannes zu Eltz bittet in einem kurzen Gebet zur Eröffnung, dass auch die Menschen heute "mit Gottes Hilfe das Unmögliche für möglich halten".
Zivilcourage, Gottvertrauen und Zuversicht
Der frühere DDR-Oppositionelle und evangelische Pfarrer Rainer Eppelmann nimmt in seiner Predigt das Motto des kirchlichen Programms zum Tag der deutschen Einheit "Mit Gott überspringe ich Mauern" aus Psalm 18 auf. Damals wie heute stünden immer wieder Menschen vor der Frage: Springen oder nicht? Um Glück, Freiheit und Würde zu erlangen, sei in der DDR "Zivilcourage, Gottvertrauen und Zuversicht" nötig gewesen. Angesichts einer Welt, in der Ungerechtigkeit und Krieg, Angst und eine hohe Zahl von Flüchtlingen, die auf Hilfe im Westen hofften, wie eine Mauer vor den Menschen stünden, müsse wieder zum Sprung über Mauern angesetzt werden, sagt Eppelmann und zitiert den katholischen Frankfurter Pfarrer und Dichter Lothar Zenetti mit seinem Lied "Was keiner wagt, das sollt ihr wagen...".
Ein schönes Zeichen, dass nach dem bewegenden Gottesdienst viele Teilnehmer mit ihren Kerzen zu dem improvisierten Mahnmal für die toten Flüchtlinge ziehen und ihre Kerzen dort zum Gedenken abstellen. Frankfurts "gudd Stubb" strahlt weiter. (dw)